Dank einer Förderung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg konnte die Ethnologische Sammlung des Museums Natur und Mensch eine Sondierungsforschung zu den Provenienzen der kolonialzeitlichen Bestände aus Kamerun durchführen. In diesem Album werden die Ergebnisse zusammengefasst präsentiert.
Das Projekt
Die Aufarbeitung der Bestände aus kolonialen Kontexten hat eine hohe Priorität in der Arbeit der Ethnologischen Sammlung. Daher war es besonders begrüßenswert, dass vom 26.04.2022 bis 31.12.2022 durch Mittel des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie der Stadt Freiburg i. Br. die wissenschaftliche Bearbeitung jener Sammlungen, die aus dem Gebiet des heutigen Kamerun stammen, ermöglicht wurde.
Dies umfasste die Beschau der Sammlung, die Lektüre von Fachliteratur, die wissenschaftliche Recherche zu den Objekten sowie zu den Sammler_innen und ihren kolonialen Verflechtungen. Des Weiteren wurden relevante Sammlungsakten, beispielsweise des Stadtarchivs Freiburg oder des Bundesarchivs (Abt. Militärarchiv Freiburg), gesichtet. Weiterhin wurden alle bislang noch nicht für die Online-Sammlung der Städtischen Museen aufgearbeiteten Objekte in der Museumsdatenbank bearbeitet und zur Online-Publikation vorbereitet. Die Zielsetzung lag darin, einen systematischen Überblick über die Kamerun-Bestände und die Voreigentümer_innen zu gewinnen, wo möglich neue Erkenntnisse zu diesen zu erschließen und damit Informationen für zukünftige Rechercheanfragen und Kooperationen bereitzustellen.
Warum Kamerun?
Kamerun wurde nach Südwestafrika und Togo die dritte Kolonie des Deutschen Reiches in Afrika. Die formale Kolonialherrschaft begann mit den am 11. und 12. Juli 1884 abgeschlossenen sogenannten 'Schutzverträgen' mit Vertretern der Duala und endete am 16. Februar 1916 mit der Kapitulation der verbliebenen 'Schutztruppe' in Mora (Kamerun). Das Deutsche Reich setzte seinen Herrschaftsanspruch einerseits durch militärische Unterwerfung vor Ort und andererseits mittels diverser Verträge mit anderen europäischen Kolonialmächten durch.
Ziel der deutschen 'Schutzherrschaft' war es, die Interessen der seit Ende der 1840er Jahre in Kamerun tätigen deutschen Handelsfirmen wie Woermann oder Jantzen & Thormälen abzusichern. Die kolonial-militärische Expansion ging einher mit dem Aufbau einer umfangreichen Plantagenwirtschaft zur Produktion von Kakao, Zuckerrohr und Kautschuk, dem Abbau von Eisenerz, Bauxit und Aluminium sowie der Errichtung von Handelsniederlassungen, was Kamerun zur ökonomisch bedeutsamsten Kolonie des Deutschen Reichs machte. Diese wirtschaftlichen Aktivitäten basierten jedoch grundlegend auf der massenhaften Ausbeutung von einheimischen Zwangsarbeiter_innen, darunter vielen Kindern, die unter brutalen Bedingungen und hohen Todesraten den Profit der deutschen Firmen erwirtschafteten. Die Eroberungszüge des Militärs und die Machtausübung der Kolonialverwaltung trafen vor Ort immer wieder auf teils vehementen Widerstand, der durch die deutsche Kolonialregierung brutal niedergeschlagen wurde. Trotz der kontinuierlichen Erweiterung der stationierten Truppen setzte sich der passive und aktive Widerstand der Bevölkerung Kameruns fort.
Die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun kam erst durch den Ersten Weltkrieg (1914 - 1918) zu ihrem Ende. Nach der Kapitulation der deutschen Truppen wurde Kamerun im Rahmen des Versailler Vertrags und im Namen des Völkerbundes 1919 unter die Verwaltung Großbritanniens und Frankreichs gestellt. Im Jahr 1961 erlangte das Land Kamerun seine vollständige Unabhängigkeit.
Sensibilität und kolonialzeitliche Sammlungen aus Kamerun
Die koloniale Expansion in Kamerun ging immer auch einher mit der Aneignung von Objekten. Ausgehend vom 2021 erschienenen Leitfaden "Umgang mit Objekten aus Kolonialen Kontexten" des Deutschen Museumsbundes, gelten Objekte und Sammlungen als historisch sensibel, wenn sie an Orten und in Zeiten gesammelt, erworben oder hergestellt wurden, die durch eine massive Machtungleichheit geprägt waren. Die Bandbreite reicht dabei vom Einfluss diskriminierender Ideologien wie beispielsweise des Rassismus, über Unterdrückung oder Krieg bis hin zum Völkermord. Die Sammlungen ethnologischer Museen entstanden zu einem Großteil innerhalb von kolonialen Kontexten und sind damit historisch sensibel.
Sie können dabei Objekte aus sehr unterschiedlichen Erwerbsumständen umfassen: Sowohl Gegenstände, die unter Zwang oder Anwendung von Gewalt geraubt wurden als auch solche, die von Menschen vor Ort für den Handel mit Europäer_innen angefertigt wurden. Objekte können aber nicht nur aufgrund des Aneignungs- und Entstehungskontexts, sondern auch aufgrund ihrer kulturspezifischen Bedeutung oder Materialität sensibel, zugangsbeschränkt oder besonders schützenswert sein. Diese Formen der Sensibilität sind oftmals miteinander verschränkt.
Die Erforschung der konkreten Kontexte der Kamerun-Bestände in der Sammlung des Museum Natur und Mensch war daher ein wichtiges Anliegen.
Wie kam die Bugzier aus Kamerun nach Freiburg? Das Objekt wurde im Inventar als Altbestand ohne weitere Angaben aufgeführt. Über die Vorbesitzer_innen, Hersteller_innen oder die Umstände der Aneignung können daher heute keine direkten Rückschlüsse gezogen werden. Anhand von Vergleichsobjekten lässt sich jedoch ermitteln, dass die auch als Schiffsschnabel bekannte Schnitzerei aus Douala an der Küste Kameruns stammt.
Kurzdarstellung der Ergebnisse
Die Kamerun-Bestände der Ethnologischen Sammlung
Die Ethnologische Sammlung verzeichnet insgesamt 180 Datensätze zu Objekten aus Kamerun, von denen etwa 140 aus einem kolonialen Kontext stammen. Der Großteil davon lässt sich auf bislang 30 identifizierbare Einzelpersonen und Institutionen zurückführen. 25 Objekte gelangten unter nicht mehr rekonstruierbaren Umständen in die Sammlung. Die kolonialzeitlichen Bestände aus Kamerun umfassen neben Jagd- und Kriegswaffen (z.B. Messer, Bögen, Kurzschwerter und Armbrüste) und Alltagsgegenständen (z.B. Körbe, Schüsseln, Taschen) auch Objekte, die speziell für den Handel mit Europäer_innen hergestellt worden sind (z.B. Schiffsmodelle, Pfeifenköpfe oder Kalebassen). Darüber hinaus sind Zeremonialobjekte, wie Masken oder Statuen, Gegenstände mit repräsentativer Funktion und Musikinstrumente zu nennen. Insgesamt sind die einzelnen Konvolute sehr kleinteilig und enthalten oftmals nur einzelne oder einige wenige Objekte. Bis auf eine Ausnahme (Slg. Johannes Heldt) lässt sich daher weder für die einzelnen Sammlungen noch für die Gesamtbestände aus Kamerun von systematisch angelegten Sammlungen sprechen.
In den meisten Fällen konnten keine Details zum Erwerb der Objekte in Kamerun nachvollzogen werden. Die vertiefende Recherche zu den Beständen erwies sich im Rahmen der Projektlaufzeit als schwierig, da die Dokumentation oftmals zu grob, verzerrend oder auch fehlerhaft ist. So spiegeln sich in den räumlichen und ethnischen Zuordnungen der Sammlungen eher die eurozentrischen Kategorien der Kolonialherrschaft und des musealen Sammelns der damaligen Zeit wider, als lokale Realitäten. Eine vertiefende Bearbeitung gemeinsam mit Vertreter_innen aus Kamerun ist für die Zukunft daher unbedingt wünschenswert.
Ein Objekt von einem Sammler. Der Oberleutnant der 'Schutztruppe' für Kamerun Hans Houben übergab einen Köcher mit Giftpfeilen an das Museum.
Auf der mit Einkerbungen und Brandmalerei dekorierten Kalebasse sind große Segelschiffe beim Be- und Entladen dargestellt. Ein Schiff zeigt die britische Flagge. Hierbei handelt es sich wohl um ein für den Handel hergestelltes Souvenir.
Angeblich hatte der Vorbesitzer F. Staschewski die eindrucksvolle Kopfaufsatzmaske selbst vor Ort eingetauscht.
Scheinbar unscheinbar: Raffia-Taschen hatten bei vielen Gesellschaften in Kamerun einen hohen Stellenwert inne.
Im Fokus: Eyema Byeri
Stellvertretend für die Vielzahl der heterogenen Objekte der Kamerun-Bestände der Ethnologischen Sammlung sollen im Folgenden zwei Schnitzfiguren ausführlicher vorgestellt werden, sowohl bezüglich ihrer historischen Bedeutung wie auch der multiplen Sensibilitäten, die in ihnen zum Ausdruck kommen.
Eyema byeri werden oft als Reliquienwächter oder Reliquienfiguren bezeichnet. Unter byeri waren aber eigentlich nicht nur die Figur, sondern ein ganzes Ensemble zu verstehen, welches sich aus unterschiedlichen Teilen mit eigenen Bezeichnungen zusammensetzt. Dazu gehören die Figuren (eyema byeri), Kopfplastiken (nlo byeri) und zylindrische Behälter aus Baumrinde (nskeh byeri).
Die Figuren wurden mittels eines Dorns auf den Rand der Baumrindenbehältnisse gesteckt. In letzteren wurden die Schädel und andere Knochen sowie teils auch Glasperlen und Schmuckstücke von Vorfahren eines Familienverbunds oder eines Bundes verwahrt. Die menschlichen Überreste standen im Mittelpunkt unterschiedlicher ritueller Handlungen zur Vorbereitung für Jagd- und Kriegszüge oder des Baus eines neuen Wohnhauses. Hierfür wurden die Gebeine aus den Rindenbehältnissen entnommen und mit Gaben wie Tierblut, Maniok, Fleisch oder Wasser gespeist sowie mit magischen Substanzen bestrichen. Die Figuren eyema byeri dienten dem Schutz der Gebeine und waren nicht Gegenstand der Speisung oder Verehrung. Außerhalb des rituellen Gebrauchs wurden diese Reliquiar-Komplexe in den Räumlichkeiten der Familien- oder Bundesältesten bewahrt. Dort wurden sie so aufgehoben, dass sie für Frauen, Kinder und uninitiierte Männer unzugänglich waren. Die Zusammensetzung der Reliquiar-Komplexe, Verwendungsumstände und Lagerung variierte zwischen den unterschiedlichen Gruppen und Kollektiven, in denen derartige Praktiken der Ahnenverehrung eine Rolle spielten.
Aufgrund ihrer kunstvollen Gestaltung waren für die europäischen Sammler_innen vor allem die eyema byeri von besonderem Interesse, während aus der Perspektive der einheimischen Bevölkerung die menschlichen Überreste im Zentrum der Ahnenverehrung standen. Aus diesem Grund galten die Schnitzfiguren auch als verhältnismäßig leicht zu erwerben. Diese divergenten Bewertungsprinzipien sind nachhaltig in museale Sammlungen eingeschrieben worden: Nach ihrer Aneignung wurden die Reliquiar-Ensembles oftmals aufgeteilt und separat weitergegeben. Aus diesem Grund lässt sich heute oftmals nicht mehr rekonstruieren, inwiefern Ensembleteile zusammengehören oder woher sie konkret stammen.
Dies gilt auch für die zwei als eyema byeri identifizierten Figuren aus der Ethnologischen Sammlung in Freiburg. Zu beiden lagen bei der Übernahme in die Sammlung keine konkreten Hinweise auf ihre genaue Herkunft vor. Auch später setzte sich die Unklarheit ihrer Zugehörigkeit fort, sie wurden sowohl als möglicherweise von Jaunde, Pangwe oder Fang stammend beschrieben. Dies wird sich auch zukünftig kaum konkretisieren lassen, denn eyema byeri wurden in ähnlicher Weise von unterschiedlichen Gruppen hergestellt. Hinsichtlich der stilistischen Eigenschaften lassen sich heute keine eindeutigen Zuordnungen zu ethnischen Gruppen oder Herkunftsgemeinschaften vornehmen.
In ihrem Vorkommen in Sammlungen verweisen eyema byeri insofern stets auf multiple Formen der Sensibilität: So geschah ihre Aneignung in kolonialen Kontexten, die durch offensichtliche Machtungleichheit und latente Kriegszustände geprägt waren, wenngleich die genauen Umständen der Objekttransfers sich durchaus unterschieden haben. Weiterhin ist zu bedenken, dass menschliche Überreste zu den Ensembles gehörten und die Frage nach deren Verbleib zumeist unbeantwortet bleibt. Die Zugangsbeschränkungen verweisen zudem noch auf weitere Dimensionen der Sensibilität der Reliquiar-Komplexe. Auch die Bewertung der Schnitzfiguren durch die Sammelnden nach primär ästhetischen Kriterien, ohne Interesse an ihrer Bedeutung und konkreten Herkunft, stellt eine Form machtgebundener Sensibilität dar. Denn durch den Akt der Aneignung wurden religiöse Objekte aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang gerissen und durch die Sammler_innen umgedeutet.
Dies zeigt wie schwierig es ist, Objekte entlang von Kategorien wie Kunst-/Ritualgegenstand oder sensibel/nicht sensibel einzuordnen. Vielmehr sind die eyema byeri, wie auch zahlreiche andere Objekte aus der ethnologischen Kamerun-Sammlung, ein Beispiel für die vielfach verschränkten Dimensionen von Sensibilität.
Die Vorbesitzer_innen
Für die identifizierbaren und größtenteils männlichen Vorbesitzer_innen ließ sich nachvollziehen, dass die meisten als Angehörige des Militärs, Angestellte der Kolonialverwaltung oder Kolonialwirtschaft sowie als Naturalien- und Ethnographikahändler nach Kamerun gekommen waren. In diesen Positionen profitierten sie direkt von kolonialen Infrastrukturen, die sie zur Aneignung von Objekten befähigten. Ihre Motivationen, Objekte an das Museum zu geben, waren vielseitig. Einige hatten persönliche Bezüge zu Freiburg und fühlten sich der Stadt heimatlich verbunden, andere wiederum wurden von der Museumsleitung über den Oberbürgermeister kontaktiert, während wieder andere größere Sammlungen zum Verkauf angelegt hatten. Vielfach gaben aber auch die Erb_innen dieser Personen die Objekte in die Sammlung. Im Rahmen des Projektes wurden entsprechend der Quellenlage individuelle Kurzbiographien zu den Vorbesitzer_innen verfasst oder ergänzt, in denen sowohl ihre Karrierewege, die Verbindungen mit dem deutschen Kolonialismus sowie ihre Bezüge zum Museum zusammengefasst wurden.
Stellvertretend für die unterschiedlichen Vorbesitzer_innen sollen hier drei Personen exemplarisch kurz vorgestellt werden, die auf ihre Weise repräsentative Sammlertypen darstellen: Kapitän Johannes Heldt, Leutnant Oskar Schmidt und Handelsagent Theodor Birk.
Johannes Heldt
Das größte Kamerun-Konvolut eines einzelnen Sammlers stammt von Kapitän Johannes Christian Eiler Heldt, der dem Museum zwischen 1899 und 1903 eine umfangreiche Afrika-Sammlung verkaufte. Johannes Heldt wurde am 16.09.1858 in Apenrade (Dänemark) geboren. 1886 heiratete er in Flensburg Maria Anna Bertha Bielefeld. Um 1890 zog Johannes Heldt mit seiner Familie nach Hamburg. Dort arbeitete er als Kapitän bei der Woermann Linie. Das Schifffahrtsunternehmen war Teil des Woermann-Konzerns, der aus den deutschen Kolonien in Afrika vorrangig Ölpalmfrüchte, Elfenbein und Kautschuk importierte und der an der Gründung der Kolonie in Kamerun maßgeblichen Anteil hatte. Die Schiffe der Woermann Linie fungierten zudem als Postzusteller und transportierten Passagiere und Soldaten der 'Schutztruppe'. Nach seiner Tätigkeit als Kapitän arbeitete Johannes Heldt als Reedereiinspektor. Er starb am 13.04.1925.
Wie aus den historischen Sammlungsakten des Museums hervorgeht, wurde dem Direktor Hugo Ficke (1840 - 1912) im Oktober 1899 während einer Akquise-Reise in Hamburg der Kontakt zu Kapitän Heldt vermittelt, der seine Sammlung verkaufen wollte. Sie umfasste 452 Nummern und wurde von Ficke für 1.650 Mark erworben, der sie in einem Brief an das Museum als "sehr schön und umfassend" beschrieb. Der Großteil ging in die Freiburger Sammlung ein, einige Objekte wurden an das Museum in Hamburg getauscht oder verkauft. Rund fünfzig Inventarnummern aus der Sammlung von Kapitän Heldt tragen die Provenienz Kamerun. Darunter befinden sich geschnitzte Figuren, ein Sitzhocker, Pfeifenköpfe, mehrere Bootsmodelle, vier Schlitztrommeln, sowie Waffen, Ruder und Alltagsgegenstände. Über die Umstände seiner Erwerbungen hat Kapitän Heldt keine Aufzeichnungen hinterlassen. Seine Afrikasammlung spiegelt jedoch recht akkurat seine Reiseroute zwischen Marokko und dem heutigen Namibia wider, so dass davon ausgegangen werden kann, dass er die Objekte während seiner Liegezeiten in den Häfen erwarb. Bei vielen der Gegenstände handelt es sich um typische Souvenirs, wie sie damals bereits zum Verkauf an europäische Reisende und Sammler_innen gewerbsmäßig hergestellt wurden. Bei manchen Objekten deuten die Herkunftsangaben des Sammlers an, dass sie über Handelsrouten aus dem Inneren des Landes oder auch angrenzenden Gebieten stammen. Ob Kapitän Heldt diese Objekte ebenfalls in den Häfen erwarb, von einheimischen oder deutschen Zwischenhändlern, ob er vielleicht selbst längere Reisen in der Kolonie unternahm und dabei sammelte, ist noch ungeklärt. Als Kapitän der wichtigsten Reederei für den Handel mit der Kolonie hatte er auf jeden Fall privilegierten Zugang zu den Infrastrukturen, die das Sammeln und Transportieren materieller Kultur aus Kamerun ermöglichten.
Oskar Schmidt
Joseph Adolf Oscar Schmidt wurde am 06.01.1872 in Bruchsal geboren und machte eine militärische Karriere, die ihn in leitende Positionen in der kolonialen 'Schutztruppe' und Kolonialverwaltung in Kamerun und Togo führte. Seine erste Erwähnung für Kamerun ist als Stationsassistent in Edea 1896. Es folgen weitere Einsätze in Mpim (1896), beim Wegebau zwischen Victoria und Buëa (1899), als Leiter der Regierungsstation Johann-Albrechtshöhe in Barombi (1900) und als Bezirksamtmann in Edea (1903). In dieser Zeit reiste Schmidt mehrfach aus gesundheitlichen Gründen zurück nach Deutschland. Im April 1904 schied Schmidt aus der 'Schutztruppe' aus. 1910 gründete er gemeinsam mit seinem Bruder Alfred die Firma Großfarm- und Faktoreibetrieb Kamerun-Hochland GmbH, die Handelsniederlassungen und Plantagen in der Kolonie betrieb.
Wie aus den Sammlungsakten hervorgeht, verkaufte Schmidt im Jahr 1900 rund zwei Dutzend Objekte aus der Region Bali an die Städtischen Sammlungen. Dabei handelte es sich vor allem um Speere und eine Armbrust, sowie Körbe, Stofftaschen und Pfeifenköpfe. Wie er in den Besitz der Objekte kam, ist ungeklärt. Schmidt war während dieser Zeit Leutnant der 'Schutztruppe' und Stationsleiter in Barombi. Es ist daher anzunehmen, dass er in dieser Zeit an militärischen Aktionen beteiligt war. Auch die Tätigkeit im Wegebau, bei der es um die Erschließung und Unterwerfung bislang unzugänglicher Gebiete ging, deutet auf Gewaltkontexte hin. Seine Beteiligung an Strafexpeditionen ist zudem belegt. Ob seine Freiburger Sammlung aus solchen Zusammenhängen stammt, muss durch weitergehende Forschung untersucht werden. Neben Freiburg sammelte Oskar Schmidt auch für das Stuttgarter Linden-Museum.
Theodor Birk
Theodor Birk ist ein Beispiel für einen Sammler, zu dem bislang kaum Informationen vorliegen. Wie aus einem Eintrag vom 19.01.1909 im Geschenkebuch hervorgeht, erhielt das Museum für Natur- und Völkerkunde von ihm "Ethnographica und 2 Gehörne aus Kamerun" als Schenkung. In einer Korrespondenz von Mai 1909 findet sich ein Angebot von Birk, in Kamerun noch weitere Objekte für das Museum zu sammeln, falls man ihm die Unkosten erstatte. Das Museum lehnte dies jedoch aus Kostengründen ab. Birk zeichnete den Brief als Angestellter der West-Afrikanischen Kompanie in Jaunde-Dendeng. Ein weiterer Nachweis über die Tätigkeiten eines Theodor Birk für dieses Handelsunternehmen konnte bislang noch nicht erbracht werden. Seine Sammlung umfasst acht Inventarnummern, darunter Kleidungsstücke, Waffen, ein ledergebundener Koran und eine Mandoline. Drei der Objekte konnten bislang zugeordnet werden, der Status der restlichen Nummern ist noch ungeklärt. Ein biographischer Bezug zu Freiburg kann zumindest vermutet werden, da Birk in seinem Brief erwähnt, dass er die erwähnten Objekte dem Museum vor Ort übergab.
Die drei Personen Heldt, Schmidt und Birk sind durchaus repräsentativ für die Arten von Sammlern, die typischerweise in kolonialen Afrika-Sammlungen in Erscheinung treten. Sie waren Kapitäne, Militärs, Angehörige der Kolonialverwaltung, Händler und Unternehmer, mitunter in überlappenden Funktionen. In kaum einem Fall kann konkret belegt werden, wie Objekte in ihren Besitz gelangten, ob hierbei Zwang oder Gewalt eine Rolle spielte oder die Transaktionen primär durch Tausch oder Kauf abliefen. Dennoch profitierten die genannten Akteure und mit ihnen die sammelnden Institutionen von den imperialen Infrastrukturen, die zur Ausbeutung der Kolonien und ihrer kolonisierten Bevölkerungen beitrugen.
Fazit
Im Rahmen der Provenienzforschung konnte die Entstehungsgeschichte der Kamerun-Sammlung des Museums Natur und Mensch zu großen Teilen rekonstruiert werden. Die systematische Betrachtung der Bestände hat gezeigt, dass das Profil der Freiburger Kamerun-Sammlung charakteristische Züge für Sammlungen aus kolonialen Kontexten aufweist. Dies betrifft zum einem die Hintergründe der Sammler_innen, die Objekte aus Kamerun nach Freiburg brachten. Die Rekonstruktion der Biografien der Sammler_innen bestätigte, dass diese meist der kolonialen 'Schutztruppe' angehörten oder als Angestellte in der Kolonialverwaltung, der Kolonialwirtschaft oder im Handel mit Naturalien und Ethnographika tätig waren.
Weiterhin ist die Sammlung charakteristisch hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Bestände. Sie umfasst einen großen Anteil an Jagd- und Kriegswaffen, Alltagsgegenständen sowie Objekten, die für den Handel mit Kolonialakteur_innen hergestellt worden sind. Darüber hinaus sind u. a. Zeremonialobjekte, Gegenstände mit repräsentativer Funktion und Musikinstrumente zu nennen. Da die meisten Sammlungen sehr kleinteilig sind und oft nur aus wenigen oder Einzelobjekten bestehen, kann weder für die Gesamtbestände noch für die einzelnen Konvolute von gezielt aufgebauten Sammlungen gesprochen werden. Entsprechend dem Leitfaden "Umgang mit Objekten aus Kolonialen Kontexten" (2021) des Deutschen Museumsbundes sind die Kamerun-Bestände als historisch sensibel, wie auch teilweise als kulturspezifisch sensibel einzustufen.
Zuletzt ist die Sammlung kolonialzeitlicher Bestände aus Kamerun auch charakteristisch hinsichtlich ihrer Desiderate: Die Dokumentation in den Archiven ist sowohl lückenhaft, als auch oftmals in den Zuschreibungen falsch oder verzerrend, da die dort getroffenen räumlichen und ethnischen Zuordnungen in erster Linie koloniale und museale Ordnungslogiken abbilden. Dieses koloniale Archivwissen zu komplementieren und durch die Perspektiven von Menschen aus den Herkunftsgesellschaften auszugleichen, ist ein wichtiger Schritt dekolonialer Provenienzforschung, der zum jetzigen Zeitpunkt noch aussteht. Das Projekt "Provenienzforschung Kamerun" hat die Voraussetzungen geschaffen, Anfragen fachkompetent und schnell zu bearbeiten und gezielt Kooperationen mit Partner_innen aus Kamerun aufzubauen.
Förderung
Das Forschungsprojekt wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und der Stadt Freiburg gefördert.
Autor_innen: Stefanie Schien und Godwin Kornes, 2023
Alle Bestände aus Kamerun finden Sie hier.