Hendrick Goltzius (1558 - 1617) wurde damals wie heute für seine technische Virtuosität und seine kreativen Bilderfindungen geschätzt. Besonders heraus sticht seine Fähigkeit, Stile und Stichtechniken anderer Künstler nachzuahmen – diese aber gleichzeitig kommentierend zu übertreffen.
Die Ausstellung ist eine Kooperation des Augustinermuseums Freiburg und der Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen. Sie bringt ausgewählte Werke aus Goltzius‘ umfangreichem und vielseitigem druckgraphischen Oeuvre zusammen, die einen Bogen spannen vom verlegerischen Erstlingswerk bis hin zum letzten druckgraphischen Motiv. Verwandlung begegnet uns dabei auf unterschiedliche Weise: als Motiv in den Illustrationen zu Ovids Metamorphosen; als Demonstration technischer Fähigkeiten; als Mittel der Täuschung und letztlich als modus operandi der eigenen künstlerischen Laufbahn.
Helden
Worin liegt der Erfolg der Kunst? Mit dieser Frage beginnt Goltziusʼ Fortuna-Serie, die er in seinem neugegründeten Verlag in Haarlem herausgab. Wie Ars und Usus es vormachen, ist die Kunst ein Balanceakt zwischen Idee und Umsetzung. Goltzius wusste, wovon er sprach. Spätestens mit der Folge der Römischen Helden erlangte er den Ruf eines technischen Virtuosen. Typisch für seine Darstellungsweise zu dieser Zeit sind die übermäßig muskulösen Körper, deren anatomisch übersteigerte Formen auch als »Knollenstil« bezeichnet wurden.
Mit seinem verlegerischen Erstlingswerk setzte Goltzius unternehmerisch und künstlerisch ein Zeichen. Die ganz ins Schreiben vertieften Figuren der Kunstfertigkeit und Übung symbolisieren die Vereinigung von Theorie und Praxis. Das Blatt ist Teil seiner Fortuna-Serie, mit der Goltzius zeigt, was eine erfolgreiche Künstlerlaufbahn ausmacht.
Grenzgänger
Sie überschreiten Grenzen, betrügen und ernten den Zorn der Götter. Während die Schicksalsgöttinnen unermüdlich den Schicksalsfaden spinnen, stellen sich die Antihelden gegen die Autorität von Moral, Vernunft und göttlicher Anweisung. Auch technisch erzielte Goltzius um 1588 Höhenflüge: Durch die Ausbildung eines feinen Linien- und Schraffursystems erscheinen die Körper der Stürzenden wie plastisch modelliert. Dabei schwellen die Linien durch gezielten Druck auf den Grabstichel an, verbreitern sich und laufen in präzisen Haarlinien aus. Das runde Tondo-Format verstärkt zudem das Drehmoment und rückt die Anatomie des nackten Körpers in den Mittelpunkt.
Metamorphosen
Die Metamorphosen Ovids zu verbildlichen war für Künstler des 16. Jahrhunderts ein beliebtes Projekt. Die mythologischen Verwandlungsgeschichten, die Ovid in insgesamt 15 Büchern erzählt, boten Freiraum für die künstlerische Imagination.
Besonders im Buchdruck wurden sie als textbegleitende Bilder in zahlreichen Illustrationsfolgen umgesetzt. Goltzius plante, die Metamorphosen in ihrer Gesamtheit als graphische Serie zu visualisieren. 1589 begann er die Arbeit an den Zeichnungen, auf deren Basis in seiner Werkstatt bis 1604 rund 52 Kupferstiche entstanden. Er wollte sich von den älteren Illustrationen absetzen und ein bildliches Gegenstück zur sich kontinuierlich fortspinnenden Dichtung Ovids schaffen.
Italienreise
1590 brach Goltzius nach Italien auf. Für Künstler nördlich der Alpen war es seit dem frühen 16. Jahrhundert Tradition, Italien zu bereisen und die dortige Kunst zu studieren. Auch Goltzius wollte sich vor den antiken Kunstwerken im Zeichnen üben, um dadurch seine Technik zu perfektionieren. Die Studienzeichnungen, die er vor den Originalen anfertigte, dienten dann als Vorlage für eigene Kupferstiche, darunter der Apollo Belvedere. Diese sollten in einem umfangreichen Katalog herausgeben werden – ein Projekt, das letztlich nicht realisierte wurde. Die Italienreise steht für einen Wendepunkt in der Stilentwicklung des Künstlers. Dort eignete er sich ein klassisches Vokabular an und ließ die übersteigerten Formen des Frühwerks hinter sich.
Farbexperimente
In Technik und Stil unterscheiden sich Goltziusʼ Holzschnitte deutlich von seinen Kupferstichen. Während beim Kupferstich feine Linien in die Kupferplatte gestochen werden (Tiefdruck), wird beim Holzschnitt alles weggeschnitten, was nicht im Druck erscheinen soll, sodass die später im Druck sichtbaren Linien als erhöhte Grate stehen bleiben (Hochdruck). Bei seinen Farbholzschnitten erzielt Goltzius malerische Wirkung, indem er außer der schwarzen Strichplatte, welche z. B. Konturen und Binnenzeichnung der Figuren wiedergibt, weitere Tonplatten verwendet, die Gelb/Ocker und Olivgrün einbringen und so malerische Licht-Schatten-Effekte erzielen. Dabei wird auch das unbedruckte Papier als hellster Ton mit einbezogen.
Verwandlungskünstler
Werke im Stil anderer Künstler zu schaffen – dieses Ziel verfolgte Goltzius mit seinen Meisterstichen. Die Blätter dieser sechsteiligen Folge sind im Stil verschiedener berühmter Künstler gearbeitet, die als Vorbilder teilweise konkret identifiziert werden können. Goltzius wollte seine Vorbilder aber nicht bloß kopieren, sondern in ihrer Kunstfertigkeit übertreffen. Die Anbetung der Hirten ist vermutlich Goltziusʼ letztes druckgraphisches Motiv. Er hinterließ es unvollständig, da er sich ab 1600 einer eigenen »Metamorphose« unterzog und der Malerei widmete.
Ausstellungskatalog
Verwandlung der Welt: Meisterblätter von Hendrick Goltzius. Begleitbuch zur Ausstellung. Hrsg. von Stephanie Stroh, Anne-Katrin Sors und Michael Thimann. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2020.
Der Katalog zur Ausstellung ist im Museumsshop erhältlich.