Bootsmodell | Alia

vor 1900

Über das Objekt

In der Sammlung von Antonie und Eugen Brandeis befinden sich mehrere Bootsmodelle, die über die kulturgeschichtlich bedeutenden Traditionen des pazifischen Bootsbaus Zeugnis ablegen. Dazu gehört auch dieses Modell eines samoanischen Kriegskanus (alia). Alias waren mit Segel ausgerüstete, bis zu 35 Meter lange Doppelboote, die für weite Seereisen und Kriegsfahrten verwendet wurden. Nur Könige oder Chiefs verfügten über die notwendigen Mittel, solche aufwändigen Schiffe herstellen zu lassen.
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Der Bau eines alia wurde oft jahrelang vorbereitet und dauerte mehrere Monate, wobei jeder Bauabschnitt von zeremoniellen Handlungen und Festen begleitet wurde. Am Bau beteiligte sich meist das ganze Dorf mit unterschiedlichen Aufgaben, angeleitet von einem erfahrenen Bootsbaumeister. Als Werkstoff wurde vor allem das Holz des Brotfruchtbaumes verwendet, die Segel wurden von Frauen aus Kokospalmenblättern geflochten. Bug und Heck waren oft mit Schnitzereien verziert. Auf den beiden Bootskörpern wurde ein Deck errichtet, in dessen Mitte sich ein Haus mit einer Kommandoplattform befand. Nach seiner Fertigstellung erhielt jedes alia einen individuellen Namen. Während bei den anderen Bootsmodellen in der Sammlung leider nicht überliefert ist, wer sie angefertigt hat und wie sie in den Besitz des Ehepaars Brandeis kamen, ist die Geschichte dieses Modells sehr gut dokumentiert. Auf der Objektliste von Antonie Brandeis zur Schenkung von April 1900 hat es die Position Nr. 1, was die Bedeutung des Modells unterstreicht. Der Grund dafür liegt in seiner Herkunft, denn es kam als Geschenk des samoanischen Chiefs Mata’afa Iosefo (1832-1912) in die Sammlung. Die Biographie des Objekts ist dabei eng mit der deutschen Kolonialgeschichte in Ozeanien verflochten. Als Eugen Brandeis im August 1898 sein Amt als Kaiserlicher Landeshauptmann auf den Marshallinseln antrat, übernahm er auch die Verantwortung für Mata’afa Iosefo, der sich seit 1893 mit einigen Gefolgsleuten in politischer Gefangenschaft auf Jaluit befand. Nachdem er sich gewaltsam gegen den von deutscher Seite protegierten samoanischen König Tupua Tamasese Titimaea aufgelehnt hatte, war er von der deutschen Kolonialverwaltung in die Verbannung auf die Marshallinseln geschickt worden. Wenige Wochen nach dem Eintreffen von Eugen Brandeis in Jaluit wurde vor Ort über den Status des Gefangenen verhandelt und ein Ende seines Exils beschlossen. Eugen Brandeis hatte von 1886-1889 als politischer Berater der Regierung Tamasese auf Samoa gearbeitet. Aus dieser Zeit kannten er und Chief Mata’afa sich daher persönlich. Auch wenn sie sich als politische Rivalen begegneten, gab es dadurch eine verbindende Geschichte. In Briefen und Publikationen beschreiben Antonie und Eugen Brandeis ihr Verhältnis zu Mata’afa Iosefo als respektvoll und freundschaftlich. Besonders Antonie Brandeis äußerte Mitgefühl für die exilierten Samoaner_innen, deren Nachbarin sie für mehrere Wochen war. Als die Rückkehr des Chiefs vereinbart war, übergab dieser dem Ehepaar Brandeis das Bootsmodell als Geschenk. Ob Mata’afa Iosefo es selbst handgefertigt hat oder jemand aus seiner Gefolgschaft, ist nicht ganz klar; hierzu gibt es unterschiedliche Angaben. Auf Fotos von Antonie Brandeis von ca. 1898/1899 ist das Bootsmodell prominent im Brandeis’schen Wohnzimmer in Jaluit zu sehen. Im April 1900 kam es mit der ersten Schenkung von Eugen Brandeis nach Freiburg und wurde schnell eines der bekanntesten Stücke der Sammlung, wie zeitgenössische Zeitungsberichte verdeutlichen. Dabei wurde stets die Verbindung zu Mata’afa Iosefo betont, dessen Rebellion gegen den König von Samoa in der deutschen Öffentlichkeit breit rezipiert worden war. Auf diese Weise verkörpert das Bootsmodel eine koloniale Verflechtungsgeschichte zwischen Deutschland, Samoa und den Marshallinseln, sowie zwischen Chief Mata’afa Iosefo, dem Ehepaar Brandeis und der Stadt Freiburg. Wie sein Geschenk vor diesem Hintergrund einzuordnen ist, muss offen bleiben, solange die samoanische Perspektive dazu fehlt. In den pazifischen Gesellschaften hatten Gaben eine zeremonielle Funktion, durch die soziale Austauschbeziehungen hergestellt und stabilisiert wurden. Womöglich macht es Sinn, das Geschenk auch unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten. Nach seiner Rückkehr wurde Mata’afa Iosefo König von Samoa - nun mit deutscher Unterstützung. Autor: Godwin Kornes

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