Zwillingsfigur, 20. Jahrhundert
Ibeji-Figur mit hoher Riffelfrisur und Gesichtsnarben. Die Figur ist geschmückt mit vier Glasperlenschnüren, zwei Ketten aus Schildpattscheibchen und zwei Armreifen aus Eisen.
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Zwillingsgeburten gelten bei vielen Völkern als mysteriöse Ereignisse, die mit übernatürlichen Kräften verbunden sind und meist als Vorboten von Unheil interpretiert werden. Bei den Yoruba in Nigeria fand Anfang des 20. Jahrhunderts eine Umdeutung ins Positive statt: Seitdem gelten Zwillinge für die Familie als Zeichen von Glück, Gesundheit und Wohlstand. Ihre Geburt ist Anlass zur Freude. Ihnen werden auch besondere Kräfte zugeschrieben, sie können Unheil abwehren, aber auch herbeiwünschen. So ist es ratsam, sorgfältig mit ihnen umzugehen und sie zu verwöhnen, damit sie nicht aus dem Gefühl der Vernachlässigung heraus Schaden anrichten. Der erstgeborene Zwilling Taiwo gilt bei den Yoruba als der jüngere, der neugierigere, der weltoffene und unbekümmerte, der vom älteren Kehinde, dem vorsichtigeren, intelligenteren und nachdenklichen zur Erkundung der Welt vorgeschickt wurde. Im Vergleich zu Deutschland oder auch dem Welt-Durchschnitt liegt die Rate der Zwillingsgeburten bei den Yoruba sehr hoch. Ende des 20. Jahrhunderts betrug das Verhältnis 1 zu 22 (in Deutschland zur gleichen Zeit 1 zu 100; weltweit zur gleichen Zeit 1 zu 80). Allerdings ist die Säuglingssterblichkeit in afrikanischen Ländern, so auch bei den Yoruba, nach wie vor sehr viel höher als in Deutschland. Ende des 20. Jahrhunderts betrug die Säuglingssterblichkeit bei den Yoruba zwischen 15 und 20%. Gerade Zwillinge sind, da meist Frühgeburten, besonders gefährdet. So starben bei den Yoruba im Verlauf von nur zwei Generationen, also innerhalb etwa 50 Jahren, mehrere 100 000 Zwillinge bei oder kurz nach der Geburt. Die große Zahl von Zwillingsfiguren (Ere Ibeji) in Museen und Privatsammlungen erklärt sich nicht zuletzt aus dieser hohen Mortalitätsrate. Da Ibeji-Figuren begehrte Sammlerobjekte sind, gibt es seit Jahrzehnten auch mehr oder minder gute Kopien und Fälschungen. Autorin: Eva Gerhards