Karl Schmidt-Rottluff
Über das Objekt
Liegt es an der zackenförmigen Gestaltung der Haarpartie, die uns so kurz nach dem Dreikönigstag an eine Krone erinnert? Oder ist es die rechts unten eingearbeitete Jahreszahl 1916, die an eine Neujahrskarte denken lässt? Von einigen expressionistischen Künstlern sind Graphiken dieser Art zum Jahreswechsel bekannt.
Angesichts des Kriegsverlaufs an der Ostfront, der sich ausgehend von der sogenannten "Neujahrsschlacht" im Kriegswinter 1915/16 mehr und mehr zum Stellungskrieg entwickelte, schien das neue Jahr damals mitnichten Frohes für die Welt, geschweige denn für die Soldaten im Frontdienst bereit zu halten.
Umso erstaunlicher ist es für uns heute, dass die Künstler des Expressionismus während ihres Fronteinsatzes nicht selten weiterhin künstlerisch schaffen konnten, freilich nicht im großen bildnerischen Format, dafür im Kleinen, häufig mit den Mitteln der Graphik. Wann und wo genau Schmidt-Rottluff eine Vorzeichnung zum Holzschnitt oder den Druckstock selbst fertigte, wissen wir nicht. Bekannt ist jedoch, dass er das Motiv dann nach dem Krieg 1919 zusammen mit weiteren Holzschnitten in einer neu erscheinenden Zeitschrift namens "Genius" als Originaldruck veröffentlichen konnte.
Seit 1911/12 hatte die Auseinandersetzung mit der Holzschnitzerei Schmidt-Rottluffs stilistische Entwicklung maßgeblich bestimmt. In der flächenbetonten Ausgestaltung des Frauenkopfs lässt sich ablesen, um was es ihm in seinen Holzschnitten ging: um eine reduziert-markante Gesichtszeichnung zur Steigerung der bildlichen Ausdruckskraft und um die Konzentration auf quasi-geometrische Grundformen –Stilelemente, die Schmidt-Rottluff mit afrikanischer Holzplastik verband, von der er fasziniert war.
Von Karl Schmidt-Rottluff besaß Gabriele Rauschning nur diese eine Arbeit, sie erwarb sie 2004. Innerhalb der Sammlung findet der ausdrucksstarke Frauenkopf schöne Korrespondenz zu einer Reihe weiterer Frauendarstellungen der Brücke-Künstler Heckel, Pechstein und Kirchner.
(Text: Verena Faber)