Huhn, Heinrich

1902

Über das Objekt

Charles Taylor (1871 – 1911)

Auf dieser Kabinettkarte sind Charles Thomas Taylor (links) und J.E.V. Alford (rechts) abgebildet. Auf der Karte steht: "Yours sincerely, Ihr Chas Taylor aus Sāmoa. 30.06/02". Charles, auch Sale genannt, (links) wurde 1871 in Moto'otua nahe Apia, Sāmoa, geboren. Seine Mutter, Amelia Pulemagafa, war Sāmoanerin, und sein Vater, Thomas Richard Heywood Taylor, war ein Schiffsbauer aus Liverpool, England, der von Neuseeland aus nach Sāmoa gekommen war. Es ist unklar, ob die Eltern von Sale verheiratet waren. Berichten zufolge war sein Vater jedoch bereits mit einer Frau in Neuseeland verheiratet, zu der er zurückkehrte, als sein ehelicher Status in Sāmoa bekannt wurde. Nach der Rückkehr seines Vaters nach Neuseeland wurde Sale von dem aus Amerika stammenden J.E.V. Alford (rechts) und seiner Familie adoptiert.
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Da er in zwei Kulturen aufwuchs, war Sale mehrsprachig und konnte Sāmoanisch, Englisch und Deutsch sprechen und schreiben. Zusammen mit seiner privaten Schulausbildung eröffnete ihm dies eine Vielzahl von Möglichkeiten in seiner kurzen, aber steilen Karriere. Im zarten Alter von 15 Jahren wurde er als Dolmetscher im britischen Konsulat in Apia angestellt. Diese Stelle wurde zum Sprungbrett für eine Position als Chefdolmetscher am Sāmoanischen Obersten Gerichtshof im Jahr 1900, als Deutschland Sāmoa annektierte. Seine Sprachkenntnisse ermöglichten es ihm zudem, sich in verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen zu bewegen. So schloss er Freundschaft mit dem schottischen Schriftsteller und Dichter Robert Louis Stevenson, dem er Sāmoanisch beibrachte. Sale heiratete Tipesa Timaio Lio, die prominente familiäre Verbindungen in Savai'i besaß. Das Paar bekam mehrere Kinder.
Als Chefdolmetscher war Sale wohlvertraut mit dem deutschen Gouverneur Wilhelm Solf, der Sāmoa zwischen 1900 und 1911 verwaltete. Solf verließ sich in hohem Maße auf Sale, wenn es darum ging, die einheimische Bevölkerung von Sāmoa zu erreichen und Informationen zu verbreiten. Um seine sprachlichen und kulturellen Kompetenzen zu fördern und ihn von der Größe Deutschlands zu überzeugen, beschloss der deutsche Gouverneur, den jungen Dolmetscher nach Deutschland zu schicken. Im Jahr 1901 machte sich Sale via Sydney auf dem Seeweg auf nach Bremerhaven. Seine Reise führte ihn nach Witzenhausen, wo er sechs Monate an der Deutschen Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe verbrachte. Ziel der Schule war es, junge deutsche Männer in den Bereichen Landwirtschaft, Handel und Plantagenarbeit auszubilden, um die deutsche Kultur in den fernen Kolonien zu verbreiten. Nach seinem Aufenthalt an der Schule reiste Sale zur Wartburg und besuchte Solf in Bad Kissingen. Abgesehen von diesem Treffen und der gelegentlichen Überweisung von Taschengeld an Sale hatte der deutsche Gouverneur wenig Zeit für ihn, und die beiden sollten sich während ihres Aufenthalts in Deutschland nicht wieder begegnen. Dies unterstreicht die ausbeuterische Natur ihrer Beziehung und zeigt, dass die Arbeit des jungen Dolmetschers für Solf nur in Sāmoa von Nutzen war.
Nachdem er neue Orte und Erfahrungen kennengelernt hatte, wuchs Sales Interesse am Reisen. Insbesondere benachbarte europäische Länder und die Vereinigten Staaten, die Solf zu besuchen gedachte, faszinierten ihn, sodass er darum bat, seine Reise fortsetzen zu dürfen. Sein Antrag wurde jedoch vom deutschen Gouverneur abgelehnt, wahrscheinlich weil Solf befürchtete, dass sich Sale auf weiteren Reisen für andere westliche Ideologien erwärmen könne. Schließlich war Sale ein gebildeter Mann im Alter, der bewiesen hatte, dass er sich mühelos zwischen den Kulturen bewegen konnte. In den Augen des Gouverneurs war er ein zu wertvolles politisches Gut, um ihn an europäische Rivalen zu verlieren. Daher verlangte Solf, dass Sale 1902 nach Apia zurückkehrte.
In Deutschland wurde Sale durch den ebenfalls aus Sāmoa stammenden Übersetzer Afamasaga “Saga“ Maua ersetzt, der sich in den Reihen der Dolmetscher hocharbeitete und schnell zu Solfs Privatsekretär und Berater aufstieg. Obwohl sich Sale nach seiner Rückkehr mit einer Degradierung konfrontiert sah, diente er weiterhin dem deutschen Gouverneur und teilte sich die Aufgaben mit Saga. Im August 1911 nahm sein Leben eine tragische Wendung. Sale starb im Alter von 40 Jahren, nachdem er von einem Pferd gefallen war und sich den Schädel gebrochen hatte. Zum Gedenken an seine Verdienste um die deutsche Verwaltung und Gemeinschaft wurde ihm zu Ehren ein Denkmal auf dem Friedhof von Tufuiopa, Apia, errichtet.

Übersetzung: Uli Nickel

Objektdaten

Literaturhinweise

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Holger Droessler: Coconut Colonialism: Workers and the Globalization of Sāmoa. 2022.

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