Oberrheinisch
Muttergottes mit Kind auf der Rasenbank, 1470/80
Über das Objekt
Maria tritt auf als Sinnbild der Demut. Dieser Madonnen-Typus kam während des 14. Jahrhunderts auf. Das Christuskind spielt mit dem Gebetbuch. Damit weist es auf seine heilsgeschichtliche Sendung hin. „Das Wort ist Fleisch geworden“ heißt es im Johannes-Evangelium. Die Holzskulptur zeigt überwiegend ursprüngliche Fassung.
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Das in den Dimensionen bescheidene Madonnenbild war sicherlich für die häusliche Andacht bestimmt. Maria hat sich im Freien auf einer Bank, die eben keine Thronbank mehr ist, niedergelassen. Ihre Lektüre, ein von einem Beutel umhülltes Gebetbuch, findet das lebhafte Interesse des nackten Jesuleins, das, zur Mutter aufschauend, kindlich-tolpatschig in die aufgeschlagenen Seiten und nach der Buchschließe greift. So mag man die idyllische Darstellung zuallererst als Beschreibung stillen Mutterglücks auffassen und als ein Genrebild des Entzückens genießen. Doch kommt auch eine religiöse Botschaft zum Tragen, die für den spätmittelalterlichen Betrachter zweifellos sogar im Vordergrund stand. Sie zielt auf die historische Sendung des aus der Jungfrau geborenen Gottmenschen Jesus, veranschaulicht, was zu Beginn des Evangeliums nach Johannes als Heilstatsache des christlichen Glaubens poetisch umschrieben wird: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Insofern ist auch die Nacktheit des Kindes theologisch begründet. Mit ihren schwungvoll angelegten Faltenbahnen und ihren räumlichtaktilen Werten repräsentiert das kleine Bildwerk eine bedeutende plastische Konzeption. Sie wird auf den zeitweilig in Straßburg ansässigen Bildhauer und -schnitzer Nikolaus Gerhaerts von Leyden zurückzuführen sein, dessen Formideen im gesamten süddeutschen Sprachraum auf breiter Front rezipiert wurden. (Detlef Zinke)