In der ethnologischen Sammlung des Museums Natur und Mensch befinden sich etwa 2.600 Objekte aus Ozeanien, die Mehrzahl davon stammt aus den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten. Ein bedeutender Teil hiervon stammt aus zwei Schenkungen, die der kaiserliche Landeshauptmann der Marshallinseln Eugen Brandeis in den Jahren 1900/1901 dem damaligen Museum für Natur- und Völkerkunde zukommen ließ. Obwohl seine Ehefrau Antonie Brandeis für das Sammeln der rund 300 Objekte verantwortlich war, ging Eugen Brandeis in die Annalen der Stadt als ihr Stifter ein. Die Provenienz dieser Sammlung und die Geschichte ihrer Sammlerin wurden 2020‒2022 in einem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste finanzierten Projekt erforscht.
Gefördert von
Historischer Hintergrund
Im November 1898 nahm der Freiburger Oberbürgermeister Otto Winterer (1846‒1915) Kontakt mit ausgewählten Kolonialbeamten und Militärs im Ausland auf, die einen persönlichen Bezug zur Stadt besaßen und bat um Beiträge für die Sammlungen des drei Jahre zuvor gegründeten Museums für Natur- und Völkerkunde.
Unter den Kontaktierten war auch der damalige Kaiserliche Landeshauptmann der Marshallinseln Eugen Brandeis (1846‒1930). Er stammte aus dem südbadischen Geisingen, hatte in Karlsruhe und Freiburg studiert und war zeitgleich mit Winterer Mitglied des Freiburger Corps Suevia.
Wie aus Briefen in den Museumsakten im Stadtarchiv Freiburg hervorgeht, antwortete Brandeis im April 1899 positiv auf das Ersuchen Winterers und kündigte eine Sammlung an. Diese erfolgte in Form zweier Sendungen mit rund 300 Objekten aus Ozeanien, die im April 1900 und November 1901 in Freiburg eintrafen.
In den Inventar- und Schenkungsbüchern des Museums und in der öffentlichen Wahrnehmung war die Sammlung seitdem eng mit der Person von Eugen Brandeis verknüpft. Für seine Schenkung wurde der Landeshauptmann mit einem Eintrag auf der Stiftertafel des Museums für Natur- und Völkerkunde geehrt, die heute im Foyer des Museums Natur und Mensch ausgestellt ist.
Dies ist aus zwei Gründen problematisch. Zum einen verbinden sich mit dem Namen von Eugen Brandeis Vorwürfe von Machtmissbrauch und Gewaltanwendung im Zusammenhang mit seiner Amtsführung auf den Marshallinseln. Unter anderem wurde ihm bereits während seiner Amtszeit die Durchführung der in der Kolonie verbotenen Prügelstrafe vorgeworfen, was auch Gegenstand einer vielbeachteten Debatte über Gewalttaten in den Kolonien war, die in den Jahren 1905/1906 im Reichstag geführt wurde. Zum anderen verschleiert die Ehrung den Beitrag seiner Ehefrau zur Entstehung der Sammlung.
Bereits eine Forschung zur Geschichte der Ozeaniensammlung anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Museums 1995 brachte zum Vorschein, dass Eugen Brandeis zwar für die Schenkung verantwortlich war, keineswegs jedoch für das Sammeln. Dies war die individuelle Leistung seiner Ehefrau Antonie Brandeis (1868‒1945), die ihn auf das Jaluit-Atoll begleitet hatte und dort eine umfangreiche Sammlung von den Marshallinseln und Nauru zusammentrug. Zusätzlich brachte sie sich das Fotografieren bei und stellte ethnographische Betrachtungen an, die sie in ethnologischen und kolonialen Fachzeitschriften veröffentlichte. Trotz dieser vielfältigen Aktivitäten war über das Leben der Sammlerin Antonie Brandeis kaum etwas öffentlich bekannt.
Vom 1. Juli 2020 bis 30. September 2022 wurde die Brandeis-Sammlung durch den Ethnologen Godwin Kornes bearbeitet und dokumentiert. Dabei lag der Fokus nicht nur auf der Erforschung ihrer kolonialzeitlichen Provenienz, sondern insbesondere auch auf der Rekonstruktion der Biographie und der Sammeltätigkeit von Antonie Brandeis. Daneben war ein erklärtes Ziel des Projekts, Vertreter_innen der Herkunftsgesellschaften in den Forschungsprozess miteinzubeziehen. Das vorliegende Online-Album orientiert sich in seinen Schwerpunktsetzungen daher auch an Wünschen, Interessen und Fragestellungen, die von Kooperationspartner_innen von den Marshallinseln an die Ethnologische Sammlung herangetragen wurden.
Antonie Brandeis: Sammlerin, Ethnographin und Kolonialaktivistin
Antonie Thawka Brandeis wurde am 25. März 1868 in Hamburg als älteste Tochter des Kaufmanns Rudolph Heinrich Ruete (1839‒1870) und der sansibarischen Prinzessin Emily Ruete, Sayyida Salme bint Said bin Sultan Al Busaidi (1844‒1924), einer Tochter des Sultans von Oman und Sansibar, geboren.
Sie verbrachte eine kosmopolitische Jugend zwischen Hamburg, Berlin, Sansibar, London, Jaffa und Beirut, wo sie in den großbürgerlichen Kreisen ihrer berühmten Mutter aufwuchs.
1898 heiratete sie Eugen Brandeis, mit dem sie im gleichen Jahr nach Jaluit auf die Marshallinseln ging, wo dieser seinen Posten als Kaiserlicher Landeshauptmann antrat. Vor Ort begann sie Ethnographika zu sammeln, brachte sich selbst das Fotografieren bei und stellte ethnographische Betrachtungen an. Während eines Heimaturlaubs 1901/02 studierte sie Ethnologie bei Felix von Luschan (1854‒1924) in Berlin, für den sie im Anschluss eine größere Sammlung von der Insel Nauru zusammentrug. Zusätzlich zu ihrer repräsentativen Funktion als Ehefrau des Landeshauptmanns arbeitete sie als Krankenpflegerin für die europäischen Bewohner_innen der Kolonie. Die beiden Töchter des Ehepaars Margarethe und Johanna wurden auf Jaluit geboren.
Nach ihrer Rückkehr nach Berlin im Jahr 1906 folgten eine rege Tätigkeit als Autorin ethnologischer und prokolonialer Schriften, die Beteiligung an zahlreichen Kolonialausstellungen sowie ein jahrzehntelanges Engagement in der kolonialen Frauenbewegung. Unter anderem war sie Vorstandsmitglied des 1907 gegründeten Frauenbunds der Deutschen Kolonialgesellschaft und Mitbegründerin des Bundes der Auslandsdeutschen. Nach der Scheidung ihrer Ehe 1913 lebte sie noch mehrere Jahre in Berlin und kehrte dann 1920 in ihre Heimatstadt zurück, wo sie sich weiterhin der kolonialen Sache widmete. So war sie u.a. maßgeblich an der Gründung der Kolonialen Frauenschule in Rendsburg im Jahr 1926 beteiligt, in deren Aufsichtsrat sie als Repräsentantin des Frauenbundes bis 1933 saß.
Antonie Brandeis starb am 24. April 1945 bei einem Luftangriff auf Bad Oldesloe und ist in der Familiengrabstätte der Ruetes auf dem Friedhof in Ohlsdorf bestattet. Die Schenkung an das Freiburger Museum für Natur- und Völkerkunde aus den Jahren 1900/1901 ist ihre umfangreichste Sammlung. Weitere Sammlungen von ihr befinden sich in den ethnologischen Museen in Hamburg, Berlin, Stuttgart und Cambridge (USA), sowie dem Zanzibar Museum.
Die Ozeaniensammlung von Antonie Brandeis
Die Sammlung von Antonie Brandeis ist aus mehreren Gründen besonders. Zum einen aufgrund der Tatsache, dass der Großteil der Objekte von den Marshallinseln in Mikronesien stammt, sowie in geringerem Ausmaß von der benachbarten Insel Nauru, was der Sammlung einen eindeutigen regionalen Fokus gibt. Zum anderen besticht die Sammlung durch eine sehr bedachte und ausführliche Auswahl der Objekte, die vor allem handwerkliche und künstlerische Alltagspraktiken dokumentieren, wie etwa den Bootsbau, das Mattenflechten oder die Nahrungsmittelproduktion.
Zusätzlich zu den Objekten hat Antonie Brandeis die zugehörigen kulturellen Praktiken detailliert in ihren schriftlichen Kommentaren zur Sammlung beschrieben sowie durch ihre Fotografien festgehalten. Darüber hinaus veranschaulicht ihre Sammlung insbesondere die Arbeits- und Lebensweise von mikronesischen Frauen um das Jahr 1900. Ein solcher weiblicher Blick auf materielle Kultur durch eine interessierte Sammlerin war zur damaligen Zeit noch eine sehr große Ausnahme für die deutsche Museumswelt.
Ebenso enthält ihre Sammlung Rohmaterialien und Werkzeuge, die zum Flechten nötig sind. Dazu gehören beispielsweise Flechtnadeln (ar oder ie), Unterlegbretter (mōnakjān in wōjlā), gefärbte und aufgerollte Blattfasern (maan) und ein sog. dreke in nin, ein schwerer Stößel aus Muschelkalk, der zum Weichschlagen der Pandanusfasern verwendet wird.
Besonders fein gearbeitete Matten (neided) waren wertvolle Statusobjekte und hatten eine wichtige Bedeutung als Gaben und Geschenke. Ebenfalls von großem Wert waren die langen geflochtenen Gürtel (kanūr in nin), mit denen die Kleidermatten durch mehrmaliges Umschnüren beim Tragen befestigt wurden. Neben den Kleidermatten sind Fächer, Körbe und Taschen weitere wichtige Produkte, bei denen sich die Flechtkünste der Frauen zeigen. Mit ihren Fotografien, von denen sie einige ihrer Freiburger Sammlung beigab, hat Antonie Brandeis die Arbeit der Frauen festgehalten.
Bootsbau und Navigation
Die Menschen auf den Marshallinseln haben eine jahrtausendealte Kulturgeschichte des Bootsbaus und der Navigation. Bekannt sind vor allem die Auslegerkanus, die aus Holz, Seil und Baumharz und ohne Verwendung von Nägeln gebaut wurden. Solche Boote gab es in unterschiedlichen Größen: einfache Kanus (kōrkōr) für eine bis zwei Personen zum Paddeln in der Lagune, kleine und wendige Segelboote (tibnōl) für bis zu 10 Personen zum Fischfang in Küstennähe, oder große hochseetüchtige Boote (walap) für 30 bis 50 Personen zum Reisen auf andere Atolle. In der Brandeis-Sammlung befinden sich mehrere Modelle von marshallesischen Booten sowie Werkzeuge zum Bootsbau und Ausrüstungsgegenstände für die Seefahrt. Besonders prestigeträchtige Boote wurden mit speziellen Schiffsschnäbeln geschmückt.
Bei diesem Modell handelt es sich um den Nachbau eines hochseetüchtigen Reiseboots von den Marshallinseln, mit Ausleger, dreieckigem Segel und Schlafkabine. Am Bug und an der Mastspitze befindet sich Federschmuck zur Verzierung. Das Modell ist aus Brotfruchtholz geschnitzt und wurde laut der Sammlerin „von einem Häuptling“ angefertigt. Von wem, ist leider nicht überliefert.
Der Bootsbau wurde meist von einflussreichen Männern und Chiefs angeleitet und von Familien oder ganzen Dorfgemeinschaften durchgeführt. Auch hier spielte die Arbeit von Frauen eine bedeutende Rolle, zum Beispiel beim Flechten der widerstandsfähigen Segel aus Pandanusfasern. Auch dies hat Antonie Brandeis fotografisch dokumentiert.
Besonders berühmt sind die sogenannten Stabkarten von den Marshallinseln. Dabei handelt es sich um aus Zweigen und Muscheln gefertigte Navigationshilfen mit Angaben zur Lage von Inseln und Atollen, sowie den Wellen-, Wind- und Strömungsverhältnissen der jeweiligen Meeresgebiete. Es handelte sich dabei nicht um Seekarten im europäischen Sinne, sondern vielmehr um Werkzeuge zur Ausbildung und Vermittlung von nautischen Kenntnissen. Herstellung und Gebrauch von Stabkarten war eine Form von Wissen, die traditionell von Spezialisten als Geheimnis bewahrt wurde. Gleichzeitig wurden Stabkarten aber bereits um 1900 auch für den Verkauf an Sammler_innen gezielt angefertigt.
Die Karten lassen sich in drei Typen unterscheiden:
- rebbelib, die große Inselgebiete als Übersicht zeigen
- meddo, die individuelle Inseln oder Atolle und die zwischen ihnen befindlichen Seeverhältnisse anzeigen
- mattang, die keine konkreten geographischen Inhalte zeigen sondern primär zur Ausbildung dienten.
Zur Schenkung von Antonie Brandeis gehörten drei Stabkarten, von denen eine 1904 an das Ethnologische Museum in Basel getauscht wurde.
Die Produktion von Nahrungsmitteln
Ein weiterer Bereich, den die Sammlung von Antonie Brandeis sehr anschaulich dokumentiert, ist die Herstellung und Konservierung von Nahrungsmitteln. Die Marshallinseln bieten als flache und nährstoffarme Korallenkalkinseln besonders schwierige Bedingungen für die Landwirtschaft. Eine Hauptnahrungsquelle war daher schon immer der Fischfang, der zu einer breiten Vielfalt an Techniken und Werkzeugen führte. Gefischt wurde zu Fuß im Riff mit Speeren, mit Fischfallen, auf Booten in der Lagune und auf hoher See. Auch heute ist der Fischfang von großer Bedeutung für die Menschen auf den Marshallinseln, wobei allerdings mittlerweile mit importierten (und daher oft teuren) Fangwerkzeugen aus industrieller Fertigung gearbeitet wird.
Zu den kultivierten Nahrungsmittelpflanzen gehörten Kokos- und Pandanuspalmen, Pfeilwurz (arrow root), Bananen und Brotfrucht, die auf vielfältige Weise verarbeitet wurden. Zur Vorsorge für Zeiten der Nahrungsmittelknappheit hatte das Konservieren und Fermentieren von Pandanus und Brotfrucht (bwiro) eine wichtige Bedeutung. In Form länglicher, mit Kokosfaserschnur geschnürter Konserven, war dies zudem ein wichtiger Proviant für lange Seereisen. Früchte wurden auf Holzgestellen getrocknet und mit speziellen Schabern zubereitet. Als Kochgeschirr wurden halbierte Kokosnüsse und Muscheln benutzt. Holzschüsseln und flache Muscheln dienten zum Essen. Trinkwasser und Baumsaft wurde mit ausgehöhlten und verschließbaren Kokosnüssen gesammelt und transportiert, die ebenfalls ein unerlässlicher Begleiter für Seereisen waren.
Sammeltätigkeit
Antonie Brandeis hat in ihren veröffentlichten Texten nur wenige Hinweise gegeben, auf welche Weise und nach welchen Kriterien sie gesammelt hat. Viele Informationen dazu fanden sich jedoch in einem Nachlass der Sammlerin, der im Verlauf des Projekts im Privatbesitz ihrer Nachfahren in den USA entdeckt und ausgewertet werden konnte. In ihren umfangreichen privaten Aufzeichnungen beschreibt Antonie Brandeis im Detail, dass der Gabentausch mit einheimischen Frauen ihr bevorzugter Zugang zu Objekten war. Besonders von Frauen aus gesellschaftlich höherstehenden Familien, mit denen sie aufgrund ihres Status als Frau des Landeshauptmanns regelmäßig verkehrte, erhielt sie eine Fülle von Geschenken.
In ihrer Freiburger Sammlung finden sich eine große Zahl von "feinen Matten" (neided), Fächern (drel oder ral) und wertvollen Halsketten (marmar) aus Spondylus-Muscheln, die hierfür typische Gaben waren. Wie sie schreibt, versuchte sie diese mit angemessenen Gegengaben zu erwidern und orientierte sich dabei an den Wünschen und Interessen der Frauen. Dies ist bedeutsam, da auf diese Weise die einheimischen Frauen einen wichtigen Beitrag leisteten, der Sammlung von Antonie Brandeis eine weibliche Handschrift zu verleihen.
Neben dem Gabentausch mit Frauen hat sie bei älteren Bewohner_innen der Inseln auch die Anfertigung von Gegenständen und Modellen gegen Bezahlung in Auftrag gegeben. Beispiele hierfür könnten das "Häuptlingshaus" (II/0648), ein "Gestell um Pandanus zu trocknen" (II/1406) oder verschiedene Bootsmodelle (II/0645, II/0649) sein. Für die aje-Trommel (AI/2163) fehlte die Haut aus Hai-Magen zur Bespannung, die laut der Sammlerin erst nachträglich besorgt werden musste.
Der Ursprung einer geringen Zahl an Objekten in ihrer Sammlung, die nicht von den Marshallinseln oder Nauru stammen, ist bislang noch wenig aufgeklärt. Sie erwähnt mehrfach, dass sie Objekte von europäischen Besucher_innen auf Jaluit als Gastgeschenke erhielt, dazu gehören auch solche, die aus weiter entfernten Gebieten wie den Karolinen oder Polynesien kamen. Wie eine kleine Anzahl von Holzschalen und Haifischhaken aus Neuguinea in ihren Besitz kam, ist noch ungeklärt. Eventuell erhielt sie diese von einem Händler der Firma Hernsheim auf Matupi.
Wann und aus welchen Motiven Antonie Brandeis mit dem Sammeln begonnen hat und ob der Auslöser dafür die Anfrage aus Freiburg war, konnte nicht genau geklärt werden. Der von Eugen Brandeis erwähnte Brief Winterers wurde am 15. November 1898 abgeschickt und traf irgendwann in den ersten Monaten des Jahres 1899 ein. In seinem Antwortschreiben vom 6. April 1899 betonte Eugen Brandeis, dass seine Frau bereits "eifrig" am Sammeln sei. Sie selbst erwähnt in ihren Aufzeichnungen das Sammeln als Tätigkeit zum ersten Mal im Januar 1899, ab April dann auch mehrfach ihre Sammlung für Freiburg. In ihren nachgelassenen Selbstzeugnissen wird deutlich, wieviel Wert sie darauf legte, professionell zu sammeln und wieviel Arbeit sie in die Dokumentation der Sammlung investierte.
Die Provenienzforschung hat zu vielen Aspekten der Sammlung und Sammeltätigkeit von Antonie Brandeis neue Erkenntnisse beigesteuert. Zwei davon sollen hierfür kurz vorgestellt werden: das Verhältnis zwischen dem Ehepaar Brandeis und dem samoanischen Chief Mata’afa Iosefo und der Ursprung der Nauru-Sammlung von Antonie Brandeis.
Das Verhältnis zu Mata'afa Iosefo
Das bekannteste Objekt der Brandeis-Sammlung ist ein Modell eines Doppelrumpf-Kriegskanus ('alia), das dem Ehepaar Brandeis im September 1898 von dem samoanischen Chief Mata’afa Iosefo (1832–1912) zum Geschenk gemacht wurde. Sie übergaben es 1900 als besonders prestigeträchtiges Objekt mit ihrer Schenkung dem Freiburger Museum. Die Biographie dieses Objektes ist ein besonders anschauliches Beispiel für die verflochtene Kolonialgeschichte zwischen Deutschland, Freiburg, Samoa und den Marshallinseln sowie der Menschen, die davon als Akteur_innen betroffen waren.
Als das Ehepaar im August 1898 zum Amtsantritt von Eugen Brandeis als Kaiserlicher Landeshauptmann der Marshallinseln auf dem Jaluit-Atoll eintraf, begegnete ihnen dort auch Chief Mata’afa Iosefo. Dieser lebte seit 1893 mit einigen Gefolgsleuten als politischer Gefangener auf Jaluit.
Er war dorthin verbannt worden, nachdem er gewaltsam gegen den vom Deutschen Reich protegierten König Tamasese Titimaea (1830–1891) rebelliert hatte. Mata’afa Iosefo und Eugen Brandeis kannten sich aus Samoa, wo letzterer von 1886 bis 1889 im Auftrag des deutschen Konsulats in Sydney als politischer Berater von König Tamasese gewirkt hatte.
Antonie Brandeis hat in mehreren publizierten Texten und privaten Briefen über die Samoaner_innen geschrieben. Darin erweckt sie den Eindruck, dass ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Verhältnis zwischen ihr und Mata’afa bestand und sie Anteil nahm an der Zwangslage der Gefangenen. Um dies zu beurteilen, fehlen gleichwohl die Perspektiven der Samoaner_innen.
Wenige Wochen nach dem Eintreffen des Ehepaars Brandeis war eine der ersten bedeutenden Amtshandlungen des Landeshauptmanns, Chief Mata’afa nach dessen Begnadigung freizulassen und ihn zur Loyalität mit dem Deutschen Reich zu verpflichten.
Nach seiner Rückkehr nach Samoa wurde Mata’afa Iosefo König – nun mit deutscher Unterstützung. Vor seiner Abreise schrieb er eine Widmung in das Gästebuch von Antonie Brandeis und betonte seine Freundschaft zu ihr:
"An die Gattin Seiner Exzellenz des Herren Richter Brandeis der Großen Regierung Deutschlands, Antonie ist ihr Name. Meine Liebe für Sie beide ist groß, möge das Leben/die Gesundheit von Ihnen beiden viele Jahre bestehen. Ich bin Ihrer beider wahrer Freund, J. Mataafa."
Das Bootsmodell verkörpert diese besondere Beziehung, gleichzeitig aber auch die Ambivalenz der kolonialen Herrschaftsverhältnisse: Chief Mata'afa Iosefo war Gefangener der deutschen Kolonialverwaltung, gleichzeitig profitierte er von ihr. Eugen und Antonie Brandeis waren Repräsentanten der unterdrückerischen Kolonialmacht, gleichzeitig bauten sie soziale Beziehungen und sogar Freundschaften zu den Menschen vor Ort auf.
Die Geschichte der Nauru-Sammlung
Der Ursprung der Nauru-Objekte in der Sammlung von Antonie und Eugen Brandeis war zu Projektbeginn mit vielen Fragezeichen versehen. Aus den Sammlungsakten des Museums ging nicht hervor, dass Antonie Brandeis sich auf Nauru aufgehalten hat. Stattdessen erwähnte Eugen Brandeis in einem Brief vom 15. Dezember 1899, den er aus Jaluit an das Museum schickte, dass Ludwig Kaiser (1862–1906), der Bezirksamtmann von Nauru, im Auftrag des Ehepaars Objekte für Freiburg zusammentrage. Wer Kaiser war und nach welchen Kriterien er sammelte, war dabei vollkommen unklar. Im Zuge der Provenienzforschung konnte die Biographie des Sammlers nun weitgehend rekonstruiert werden.
Ludwig Kaiser wurde am 21. Mai 1862 im südbadischen Obergebisbach geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre in Säckingen und mehreren Anstellungen in Südwest-Deutschland wanderte er 1893 in die USA aus. Ab März 1895 arbeitete er als Sekretär des Kaiserlichen Konsulates in Sydney sowie seit August 1897 als Hilfsschreiber beim General-Konsulat in Australien. Zusätzlich war er für die Jaluit-Gesellschaft tätig. Im Jahr 1899 wurde er zum Bezirksamtmann in Nauru befördert, ein Amt, das er bis 1905 ausübte. Wie Unterlagen im Bundesarchiv belegen, setzte sich Eugen Brandeis für Kaisers Karriere ein, was sich offenbar auszahlte: 1903 wurde Kaiser zum Stellvertretenden Kaiserlichen Landeshauptmann der Marshallinseln an der Seite von Eugen Brandeis befördert, und nach dessen Ausscheiden auch zum Amtierenden Landeshauptmann in Jaluit ernannt. Nur fünf Monate später, am 27. Mai 1906, nahm sich Kaiser auf Jaluit das Leben und wurde dort auch bestattet.
Bei einem Heimatbesuch im Jahr 1905 hat Kaiser das Freiburger Museum besucht und in diesem Zusammenhang bei der Herstellung einer vom Bildhauer August Müßle (1871–1935) produzierten Figurine für einen Nauru-Krieger beratend mitgewirkt. Kaiser war ornithologisch interessiert und hat in diesem Bereich auch gesammelt, u.a. für das Berliner Museum für Naturkunde. Von weiteren ethnographischen Sammlungen ist nichts bekannt. Seine Nauru-Sammlung besteht aus Alltagsobjekten, Waffen und Werkzeugen, aber auch zahlreichen bedeutenden Schmuck- und Zeremonialgegenständen. Nach welchen Kriterien er auf Nauru gesammelt hat und ob er dafür Anweisungen von Antonie Brandeis befolgte, muss noch geklärt werden.
In mehreren ethnographischen Berichten über Nauru, die zur Kolonialzeit entstanden, wird auf die Vielzahl an Spielen hingewiesen, die die Menschen auf dieser Insel praktizierten. Eines davon wird als "Kreiselspiel" beschrieben. Hierfür benötigte man die Schalen von fünf halbierten Kokosnüssen, die so ausgewählt wurden, dass sie möglichst nahtlos ineinanderpassten. Vorhandene Unebenheiten wurden mit einem Korallenstück abgefeilt. Um die Schalen zu fixieren, wurden sie mit Baumharz verklebt. Durch die Mitte der Schalen wurde ein kleines Loch gebohrt, in das ein hölzerner Pflock gesteckt wurde, der an seinem unteren Ende eine Verdickung hatte. Auf diese Weise entstand ein Kreisel, der mit Hilfe einer getrockneten Luftwurzel des Gummibaums angetrieben wurde. Das Spiel war eine beliebte Form der Unterhaltung und wurde vor Publikum im Versammlungshaus eines Distriktes abgehalten. Die Anfertigung der Kreisel war eine aufwändige Arbeit, die viel Zeit und Sorgfalt benötigte. Jeder Kreisel hatte üblicherweise seinen eigenen Namen. Der Name dieses Kreisels ist nicht überliefert.
Das Fangen und Zähmen von Fregattvögeln (Fregatidae) war eine verbreitete Praxis in Mikronesien und Polynesien. Sie wurden als Haustiere gehalten oder auch zur Übermittlung von Botschaften dressiert. Mit Wurfschlingen wie dieser, die aus Nauru stammt, wurden die Vögel eingefangen. Antonie Brandeis beschreibt in ihrem Kommentar zur Sammlung die Anwendung wie folgt:
"Der kleine Ring von Hahnenfedern wird über den Daumen gesteckt und dann die aus Bast gefertigte Schnur in die Luft geschleudert wobei sich der weiße Stein von Tridacna-Muschel um den Vogel schlingt."
Dieser Schutzanzug gehört zu einer Kriegerrüstung aus Nauru, die im April 1900 von Eugen und Antonie Brandeis an das Museum geschickt wurde. Der Anzug bedeckt den kompletten Körper bis zum Halsansatz, inklusive Arme und Beine. Er ist aus Kokosfasern geflochten und schützt den Träger vor den seinerzeit verbreiteten Stich- und Reißwaffen. Um Hautreizungen zu verhindern, wurde der Krieger mit Kokosöl eingerieben und mit weichen Blättern bedeckt, bevor er den Anzug anlegte. Rüstungen dieser Art sowie die meist zusätzlich getragenen Harnische aus Igelfischhaut sind eigentlich vor allem von den Gilbert-Inseln (Kiribati) bekannt. Laut der Sammlerin Antonie Brandeis wurde er auf Nauru angefertigt und sei "der letzte noch vorhandene" Anzug dieser Art dort gewesen. Die Figurine, auf die der Anzug aufgezogen ist, wurde 1905 vom Freiburger Bildhauer August Müßle angefertigt, der dafür von Ludwig Kaiser beraten wurde. Um die rassifizierende Gestaltung nicht zu reproduzieren, wurde die Figur aus dem Bild ausgeblendet.
Historische Einordnung der Brandeis-Sammlung und ihrer Sammlerin
Selbst wenn bezüglich der konkreten Transaktionskontexte und der Vorbesitzer_innen für ihre Sammlung noch viele Fragen unbeantwortet bleiben, ermöglichen die im Zuge des Projektes recherchierten Quellen, die Motivation und Vorgehensweise der Sammlerin Antonie Brandeis besser einzuschätzen. Dadurch wird es auch möglich, ihren ambivalenten Status als Sammlerin, Ethnographin, Kolonialaktivistin und Frau mit arabischem Familienhintergrund für die Geschichte der deutschen Ethnologie besser einordnen zu können. Insgesamt kann daher die Einschätzung ausgesprochen werden, dass ein großer Teil der Freiburger Brandeis-Objekte von den Marshallinseln aus weitgehend konsensuellen Transaktionen, v.a. Geschenken, Gabentausch oder auch Erwerb durch die Sammlerin, stammen.
Dies ist selbstverständlich im Kontext der gegebenen kolonialen Herrschaftsverhältnisse der Zeit zu beurteilen, die aufgrund ihrer Machtasymmetrien keine Transaktionen unter Gleichen ermöglichten. Dennoch sollte zur Bewertung der Erwerbskontexte die Tatsache berücksichtigt werden, dass Antonie Brandeis als Repräsentantin der europäischen Elite eng in die sozialen Netzwerke der hochrangigen Familien auf den Marshallinseln integriert war. Ohne den Zuspruch und Einfluss der einheimischen Chief-Familien und dabei vor allem der Frauen wäre ihre Sammlung in dieser Form nicht zustande gekommen.
Die erwähnten Vorwürfe gegen Eugen Brandeis waren zu Projektbeginn bekannt, aber schlecht dokumentiert. Vor allem waren keine Selbstzeugnisse von Eugen Brandeis und seiner Frau zu den Ereignissen bekannt. Hier konnte das Forschungsprojekt neue Erkenntnisse gewinnen, die dazu beitragen, die Vorwürfe zu bestätigen und besser einzuordnen. Durch die Rolle von Eugen Brandeis als Stifter der Sammlung ist diese daher auch durch die Gewaltgeschichte belastet, die sich mit seiner Person verbindet. Gleichzeitig gibt es keinen Beleg dafür, dass Eugen Brandeis selbst aktiv zur Freiburger Sammlung beigetragen hätte oder auch nur Interesse am Sammeln hatte. Dies war einzig und allein das Werk seiner Frau.
Kooperation
Die Zusammenarbeit mit Menschen und Institutionen aus den Herkunftsgesellschaften ist für die kolonialzeitliche Provenienzforschung zu ethnographischen Sammlungen unerlässlich. Eine hierfür geplante Forschungsreise auf die Marshallinseln und nach Samoa konnte aufgrund der durchgängig bestehenden Reisebeschränkungen infolge der Covid-19-Pandemie nicht durchgeführt werden. Trotzdem war es möglich, mit Expert_innen von den Marshallinseln zusammenzuarbeiten.
Bereits vor Projektbeginn bestand Kontakt zu dem Jaki-ed Revival Program in Majuro, das sich der Wiederbelebung der traditionellen Mattenflechtkunst widmet und mit dessen Leiterin Dr. Irene Taafaki das Museum durchgängig im Austausch stand. Mehrfach wurden Datensätze aus der Brandeis-Sammlung an das Projekt in Majuro übermittelt. Der Ankauf zweier neuer Matten durch das Museum im Jahr 2022, die von Künstlerinnen der Gruppe hergestellt wurden, ist ein sichtbarer Ausdruck dieser Kooperation wie auch der historischen Verbindung zwischen Freiburg und den Marshallinseln.
Als weiterer Kontakt auf den Marshallinseln wurde das Alele Museum in Majuro angesprochen, das historisch bedeutsame Sammlungen besitzt und einer der wichtigsten Stakeholder im Bereich des nationalen Kulturerbes der Marshallinseln ist. In diesem Zusammenhang wurden Informationen zur Brandeis-Sammlung übermittelt, ebenso wie Bildmaterial zu spezifischen Objektkategorien, an denen das Alele Museum ein besonderes Interesse geäußert hat. Hierzu gehörten geflochtene Körbe, geschnitzte Schalen und Halsketten.
Die erfolgreichste und für das Projekt nachhaltigste Kooperationsbeziehung ergab sich durch den Kontakt zu Meitaka Kendall-Lekka vom College of the Marshall Islands, die 2021/2022 eine Gastprofessur an der Hochschule Weißensee Berlin innehatte. Sie konnte dafür gewonnen werden, mit dem Freiburger Projekt zusammenzuarbeiten und steuerte wichtige Informationen zur historischen und kulturellen Einordnung der Objekte bei. Im Juni und Dezember 2021 besuchte sie die Sammlung, was jeweils ausführliche Sichtungen von Objekten ermöglichte.
Drei besonders bedeutende Objekte, die in der Online-Sammlung der Städtischen Museen Freiburg veröffentlicht wurden, hat sie in Form kurzer Videos besprochen.
Inv. II/0780, Halskette | marmar
Inv. II/1271, Ruder | kiped
Inv. II/1397, Stößel | dreke in nin
Die Zusammenarbeit mit Meitaka Kendall-Lekka im Rahmen der Provenienzforschung zur Brandeis-Sammlung war auch Gegenstand der Ausstellung "Handle with care – Sensible Objekte der Ethnologischen Sammlung" (1. Juni 2022 bis 22. Januar 2023, Kuratorin: Stefanie Schien).
Dort wurden die drei besonderen Objekte gezeigt, ebenso wie ein Interview, das Godwin Kornes mit ihr in der Ethnologischen Sammlung führte. Darin betont Meitaka Kendall-Lekka die große Bedeutung der Sammlung von Antonie Brandeis, die ihr zufolge aber nicht nur in der Verantwortung über den Umgang mit der geteilten Geschichte besteht. Vielmehr sieht sie in den Sammlungen auch einen Speicher von Wissen, der dabei helfen kann, existentielle Herausforderungen anzugehen, die für die Menschen auf den Marshallinseln angesichts von Klimawandel und steigendem Meeresspiegel von wachsender Bedeutung sind. Gerade dieses Beispiel zeigt eindrücklich, auf welche Weise ethnographische Sammlungen neue Fragen aufwerfen und Verbindungen stiften können.
Weiterführende Literatur und Informationen:
Sammlerin, Ethnographin, Kolonialaktivistin. Neue Erkenntnisse zur Mikronesien-Sammlung von Antonie Brandeis, in: Paideuma 67, 2022, 7-33.
The Ambivalence of Gender: The Collector, Ethnographer, and Colonial Women’s Movement Activist Antonie Brandeis", in: Carl Deussen & Mary Mbewe (Hrsg.): The Gender of Ethnographic Collecting, Bonn et al., 2022, 6-12 Link: https://boasblogs.org/wp-content/uploads/2022/03/bbp3_The-Gender-of-Ethnographic-Collecting_web.pdf
Ludwig Kaiser (1862-1906). Südbadischer Kolonialbeamter auf den Marshallinseln und Nauru, in: Freiburg Postkolonial (Reihe Personen), 22. Oktober 2021.
Zwischen Hamburg und Jaluit: die Sammlerin, Ethnographin und Kolonialaktivistin Antonie Brandeis, geb. Ruete, in: Hamburgische Geschichten, 9. Mai 2021.
The ambivalence of gender, in: Boasblogs, 10. Mai 2021.
Provenienzforschung zur Ozeanien-Sammlung Eugen und Antonie Brandeis.
Autor: Godwin Kornes