Versteinerte Blattfossilien

Über 13 Millionen Jahre waren diese Blätter, Früchte und Rindenstücke zwischen versteinerten Schlammschichten eingeschlossen. Sie stammen aus der Zeit, in der im nördlichen Alpenvorland Primaten auf Zimtbäumen kletterten und Nashörner am Flussufer ihren Durst stillten. Neben inzwischen ausgestorbenen Ahorn- und Pappelarten wuchsen am Ufer wärmeliebende Bäume wie der Amberbaum, dessen verwandte Arten heute in Ostasien und Nordamerika heimisch sind. Unsere Pflanzenfossilien sind ein Relikt eines einst artenreichen Auenwalds aus dem Mittleren Miozän.

Fossilreiche Fundstätten

Diese pflanzenführenden Mergelplatten stammen aus der Bohlinger Schlucht am Schiener Berg, nahe Rielasingen im Hegau am Bodensee. Die Mergel setzen sich aus tonigen, schluffigen und kalkigen Sedimenten zusammen. 
Die außergewöhnliche Vielfalt an Pflanzen- und Tierfossilien in den Öhninger Schichten der Oberen Süßwassermolasse konnte durch die ruhigen, sauerstoffarmen Sedimentationsbedingungen entstehen. Die exzellente Erhaltung der Flora und Fauna machen das Gebiet um Öhningen zu einer der bedeutendsten Miozän-Fundstellen in Süddeutschland. Schon ab dem 18. Jahrhundert wurden hier Fossilien gefunden, die heute viele Deutsche und Schweizer Museumssammlungen ergänzen. 
Der berühmteste Fund ist ein fast vollständiges Skelett eines Riesensalamanders Andrias scheuchzeri, das von seinem Entdecker Johann Jakob Scheuchzer im 18. Jahrhundert als sündiger Mensch interpretiert wurde, der bei der Sintflut umgekommen ist.

Unsere Pflanzenfossilien stammen aus dem "Oberen Pflanzenlager", einer stratigraphischen Einheit in der Oberen Süßwassermolasse.

Eine Paläorekonstruktion des Gebiets um Öhningen im Miozän
Das Ölgemälde "Oeningen zur Tertiärzeit" von R. Holzhalb (1870/71) zeigt eindrücklich, wie die Landschaft rund um die heutige Ortschaft Öhningen vor 13 Millionen Jahren ausgesehen haben könnte. Diese frühe Paläorekonstruktion basiert auf Fossilienfunden aus dieser Gegend. Mit freundlicher Genehmigung von focusTerra / ETH Zürich.
Versteinerte Trockenrisse

Der Mergelstein aus der Bohlinger Schlucht setzt sich aus Ton, Schluff und Kalk zusammen. Dieses Exemplar liefert eine wichtige Information über die Ablagerungsverhältnisse im nördlichen Alpenvorland im Mittleren Miozän. Das Gestein bildete sich in einem austrocknenden Gewässer: vermutlich ein zeitweilig wasserführender Tümpel, eine saisonal überflutete Flussaue oder ein verlandeter See. Das lässt sich aufgrund der wabenartigen Trockenrisse erschließen. Diese Strukturen bilden sich, wenn schlammiges Sediment trocknet. Durch den Wasserverlust schrumpft das Volumen des Sediments. An der Oberfläche entstehen Dehnungsspannungen, sie reißt stellenweise auf. Bei weiterer Austrocknung verbinden sich einzelne Risse zu einem Netzwerk, wie auf dieser Mergelplatte. Solche Trockenrisse entstehen auch heute noch in zeitweilig überschwemmten Gebieten oder in tonhaltigen Böden, die austrocknen.

Neben den zahlreichen Pflanzenfossilien ist in den Mergelsteinen aus der Bohlinger Schlucht versteinerter Muschelschill erhalten geblieben. Schill ist eine Ansammlung von leeren Schalen von Weichtieren, Brachiopoden, Krebstieren, Seeigeln und anderen beschalten Tieren. Die hier versteinerten Süßwassermuscheln bewohnten die Gewässer in einer ehemals von Flüssen, Seen und Mooren geprägten Landschaft im nördlichen Alpenvorland. Sie lebten auf dem Boden der Gewässer und ernährten sich von organischem Material, das sie aus dem Sediment filterten. Die Schalen dieser Muscheln bestehen aus Kalziumkarbonat in Form des Minerals Aragonit. Bei den meisten Fundstücken aus der Bohlinger Schlucht lag das Augenmerk auf den Blattfossilien, die umliegenden zerbrochenen Süßwassermuscheln wurden bei der Präparation entfernt.
Zwischen den fossilen Blättern aus der Bohlinger Schlucht finden sich drei Pappelarten. Die Balsampappel Populus balsamoides ist nur aus dem miozänen bis pliozänen Schwemmland Europas bekannt. Als Flussuferbaum in Auwäldern, war sie tolerant gegen Überflutung. Dieses Exemplar zeigt eine hervorragende Erhaltung der Blattadern, die netzartig zusammenhängen und deren Maschen ihrerseits von einem zarten, fein verästelten Äderchen-Netz erfüllt sind. Diese Blattadern dienten dem Stoffaustausch sowie der Verstärkung des Blatts. Eine Erhaltung solcher kleinteiliger, feiner Strukturen ist äußerst selten.

Flussauen und warme Sümpfe

Im Mittleren Miozän war das Klima in Südbaden vergleichbar mit der heutigen Region des südlichen Mittelmeeres. Savanne war über weite Teile Europas verbreitet. Der Bodensee existierte noch nicht. Stattdessen durchzog ein mäandrierendes Flusssystem das Gebiet. Der Lauf des Flusses änderte sich stets und schuf periodisch überschwemmte Auen, Sümpfe und Flusstalarme. Wälder konnten sich dort ausbreiten, wo genügend Wasser vorhanden war. 

Die Flora im Miozän war der heutigen ähnlich: Pappel und Weide wuchsen schon damals in unmittelbarer Nähe der Ufer, gleich neben Ulmen- und Ahornarten.

Diese Arten waren vergesellschaftet mit Bäumen, die in mitteleuropäischen Wäldern inzwischen ausgestorben sind: Berchemia, Platane, Gleditschie und Zimtbaum. In unseren Breiten war es seitdem nie wieder so warm wie im Miozän. Spätestens mit den quartären Eiszeiten, die vor 2,56 Millionen Jahren begannen, sind viele wärmeliebende Baumarten aus Europa verschwunden.

Übrig bleibt der Kohlenstoff

Tote Blätter werden normalerweise innerhalb von Tagen zersetzt. In seltenen Ausnahmen können Pflanzenreste über Jahrmillionen erhalten bleiben. Die Blätter dieses miozänen Waldes fielen in stehendes Wasser, sanken rasch zu Boden und wurden schnell von Schlamm bedeckt. Unter Luftabschluss verwesten sie nicht. Der Schlamm verfestigte sich und der Anteil der chemischen Elemente Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff in den eingeschlossenen und gepressten Blättern nahm ab. Von der ursprünglichen chemischen Zusammensetzung blieb hauptsächlich der Kohlenstoff übrig. Deshalb sind diese versteinerten Pflanzenreste schwarz.

Grabung und Präparation

Die Blattfossilien aus der Bohlinger Schlucht stammen aus Ausgrabungen, die das Museum Natur und Mensch von 1991 bis 1993 durchführte. Der ambitionierte Fossiliensammler und ehrenamtliche Mitarbeiter des Museums, Werner Stumpf (1925–2011), leitete die Grabung. Die noch bergfeuchten Mergelplatten wurden sorgfältig verpackt, transportiert und anschließend präpariert. Das Sedimentgestein, das die Blätter umgab, wurde mittels Skalpells vorsichtig und meist vollständig entfernt. Das Resultat sind Blattfossilien, die auf dem grauen, weichen Gestein dreidimensional hervorgehoben sind. Manche Fossilien wurden mit einem Mineralöl imprägniert, weshalb sie dunkler als das Umgebungsgestein erscheinen.

Die Fruchtstände heute vorkommender Amberbäume haben den gleichen Bauplan wie dieses versteinerte Exemplar. Die Frucht setzt sich aus mehreren Kapseln zusammen, ist langgestielt und hat strahlenförmige Auswüchse.
Das ist die andere Seite der aufgeschlagenen Platte. Beide Mergelplatten sind spiegelsymmetrisch.

Wettlauf gegen den Zerfall

Runde Beulen mit rostfarbenen Reaktionshöfen sind auf vielen der Mergelplatten zu finden. Es sind Verwitterungsschäden. Die sogenannte Pyrit-Markasit-Verwitterung ist ein in paläontologischen Sammlungen weit verbreitetes Problem. Bei Kontakt mit Wasser oder hoher Luftfeuchtigkeit zersetzt sich zuerst der instabile Markasit unter Abgabe von Schwefelsäure. Danach verwittert der Pyrit. Diese sogenannten Pyrit-Markasit-Nester dehnen sich bei der Verwitterung aus. Das Gestein wird mehrfach gefährdet: Die Oxidationsprodukte verursachen Kettenreaktionen und chemische Veränderungen anderer Minerale. Außerdem verändern sich Volumenverhältnisse im Gestein, die zu Spannungen und Rissen, bis zur Zerstörung der Fossilien, führen können.

Die Erhaltung dieser Blattfossilien für die Zukunft ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Perfekte, trockene Lagerbedingungen sind eine Voraussetzung, um die Verwitterung aufzuhalten.

Im Zentralen Kunstdepot werden die Blattfossilien verpackt gelagert.
Video-Datei
In diesem Video wird die Verpackung der empfindlichen Blattfossilien gezeigt.