Unbekannt
1887 - 1919
Über das Objekt
Völkerschauen
Zwischen 1895 und 1911 organisierten deutsche Theaterdirektoren, die Brüder Fritz und Carl Marquardt, sogenannte “Völkerschauen“, bei denen eine ausgewählte Gruppe sāmoanischer Darsteller in Deutschland und anderen Teilen Europas auftrat. Diese Vorführungen dienten sowohl als Unterhaltung als auch, wie einige argumentierten, zu Bildungszwecken, wobei sie die Sāmoaner als exotisches Spektakel präsentierten. Die zumeist in Zoos stattfindenden Shows fanden bei fünf verschiedenen Gelegenheiten statt, die sich jeweils über mehrere Monate erstreckten. Sie unterstrichen die westliche Sichtweise auf indigene Völker und die kulturellen Unterschiede und verstärkten das koloniale Narrativ unter den deutschen Landsleuten.
Zwischen 1895 und 1911 organisierten deutsche Theaterdirektoren, die Brüder Fritz und Carl Marquardt, sogenannte “Völkerschauen“, bei denen eine ausgewählte Gruppe sāmoanischer Darsteller in Deutschland und anderen Teilen Europas auftrat. Diese Vorführungen dienten sowohl als Unterhaltung als auch, wie einige argumentierten, zu Bildungszwecken, wobei sie die Sāmoaner als exotisches Spektakel präsentierten. Die zumeist in Zoos stattfindenden Shows fanden bei fünf verschiedenen Gelegenheiten statt, die sich jeweils über mehrere Monate erstreckten. Sie unterstrichen die westliche Sichtweise auf indigene Völker und die kulturellen Unterschiede und verstärkten das koloniale Narrativ unter den deutschen Landsleuten.
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Im Einklang mit der Interpretation der beiden deutschen Brüder von Fa'asāmoa, der traditionellen sāmoanischen Lebensweise, beinhaltete jede Show dramatisierte Adaptionen kultureller Protokolle und Zeremonien, die sich auf das Alltagsleben in Sāmoa bezogen. Zu den Theaterrequisiten gehörten die landesübliche Kleidung und Nachbildungen kulturell bedeutsamer Bauten und Wahrzeichen, um ein stärkeres Gefühl von ‘Authentizität‘ zu vermitteln. Begleitend zu jeder Vorstellung wurden Werbematerialien wie z. B. Postkarten verkauft und verteilt. Dazu zählten häufig inszenierte Fotos und Bezeichnungen von Darstellern, die auf kolonialen Stereotypen beruhten. Frauen wurden zum Beispiel als exotische “Inselschönheiten“ präsentiert, um ein voyeuristisches männliches Publikum anzulocken, während Männer als “edle Wilde“ bezeichnet wurden. Diese kurzlebigen Erzeugnisse zogen das Interesse großer Menschenmengen an, während sie gleichzeitig die reisende Gruppe objektivizierten und sich die Kultur der Sāmoaner zu ihrem finanziellen Vorteil aneigneten.
Dieses Foto ist ein Beispiel für solche Sammlerstücke. Es wird dem dänischen Fotografen Even Neuhaus zugeschrieben und wurde möglicherweise um 1896 in seinem Atelier aufgenommen. Abgebildet sind drei weibliche reisende Darstellerinnen in Kostümen. Die Frauen wurden als die Tuaimalo-Schwestern identifiziert: Fa'agalo (links), Fai Atanoa (Mitte) und Manaima (rechts). Das Foto wurde wahrscheinlich nach der ersten Vorstellung im Jahr 1895 aufgenommen, um anschließend auf einer Postkarte zu Werbezwecken abgebildet zu werden. Es ist jedoch unklar, ob die Schwestern an den nachfolgenden, von den Brüdern Marquardt organisierten Ausstellungen teilgenommen haben.
Alle drei Frauen tragen das gleiche gemusterte Baumwollkleid, das starke Bezüge zu Siapo Mamanu aufweist. Der gerüschte und gestufte Kragen, die geschnürte Taille und der knielange Saum erinnern an das französische Can-Can-Kleid, das von Tänzerinnen getragen wird. Die Schwestern sind geschmückt mit gestuften Perlenhalsketten aus Samen und Pale [Kopfschmuck], der auf ihrem hochgesteckten Haar thront. Fai Atanoa (Mitte) erhielt viel Aufmerksamkeit von den Zuschauern. Trotz ihres niedrigeren gesellschaftlichen Ranges wurde sie von den beiden Brüdern zur Taupou [Tochter des Königs] ernannt und führte die 'ava-Zeremonie [einen der wichtigsten sāmoanischen Bräuche] durch. Dies führte zu Spannungen, da der Gruppe Frauen angehörten, die nach dem sāmoanischen Protokoll besser für diese Rolle geeignet waren. Der Vorfall ist ein bezeichnendes Beispiel für die Gewalt, die kolonisierten Gemeinschaften von Außenstehenden angetan wird, die neue gesellschaftliche Narrative konstruieren, um ihre kommerziellen Ziele zu erreichen.
Im Jahr 1901 wurden die Völkerschauen verboten, weil man befürchtete, die Gruppe könne auf ihren Tourneen außerhalb Deutschlands antideutschen Ressentiments ausgesetzt sein. Die deutschen Behörden äußerten außerdem Bedenken, die Shows könnten die Grenzen zwischen Kolonialherren und Kolonisierten verwischen und die Darsteller dazu ermutigen, dieselben Privilegien wie ihre Unterdrücker zu fordern. Um die Tour des sāmoanischen Ensembles fortsetzen zu können, argumentierten die Marquardt-Brüder, die Shows würden die Macht und Einfluss Deutschlands auf der ganzen Welt vermitteln. Dies war ein Versuch, den Nationalstolz unter den deutschen Landsleuten zu stärken, die sich für Deutschlands Streben nach Territorien im Pazifik einsetzten. Um zusätzliche Unterstützung zu erhalten, wandten sich die Brüder an Wilhelm Solf, den damaligen deutschen Gouverneur von Sāmoa. Solf, der bemüht war, den zivilen Unruhen in Sāmoa Einhalt zu gebieten, erkannte in einer weiteren Reihe von Naturschauen eine Gelegenheit, einen der Anwärter auf den Titel des Königs, Tamasese Lealofi, vorübergehend von Sāmoa fern zu halten. In seinem Brief an den deutschen Herrscher, Kaiser Wilhelm II., behauptete Solf, die Sāmoaner seien schließlich Landsleute und hätten daher das Recht, ihre Heimat zu besuchen, was zu einer vorübergehenden Aufhebung des Verbots bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs führte.
Die Ausstellung indigener Völker, die häufig von finanziellen Motiven geleitet und in Zoos zu sehen war, war kein neues Phänomen. So reiste beispielsweise Carl Hagenbeck bereits 1877 mit verschiedenen Gruppen durch Europa und prägte den Begriff “Völkerschauen“. Im Gegensatz zu Hagenbeck und anderen Zeitgenossen behaupteten die Gebrüder Marquardt jedoch, ihr Interesse bestehe darin, die Sāmoaner als freundliches Volk darzustellen. Dies ist zwar höchst fragwürdig, vor allem angesichts der kulturellen und finanziellen Ausbeutung; allerdings ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Gruppen aus Sāmoa auf verschiedene Weise ihr Recht auf Selbstbestimmung geltend machten. So wählten sie zum Beispiel in späteren Jahren selbst die Darsteller aus und stellten ihre Lebensbedingungen in Frage, während sie sich für eine angemessenere finanzielle Entschädigung einsetzten.
Übersetzung: Uli Nickel
Dieses Foto ist ein Beispiel für solche Sammlerstücke. Es wird dem dänischen Fotografen Even Neuhaus zugeschrieben und wurde möglicherweise um 1896 in seinem Atelier aufgenommen. Abgebildet sind drei weibliche reisende Darstellerinnen in Kostümen. Die Frauen wurden als die Tuaimalo-Schwestern identifiziert: Fa'agalo (links), Fai Atanoa (Mitte) und Manaima (rechts). Das Foto wurde wahrscheinlich nach der ersten Vorstellung im Jahr 1895 aufgenommen, um anschließend auf einer Postkarte zu Werbezwecken abgebildet zu werden. Es ist jedoch unklar, ob die Schwestern an den nachfolgenden, von den Brüdern Marquardt organisierten Ausstellungen teilgenommen haben.
Alle drei Frauen tragen das gleiche gemusterte Baumwollkleid, das starke Bezüge zu Siapo Mamanu aufweist. Der gerüschte und gestufte Kragen, die geschnürte Taille und der knielange Saum erinnern an das französische Can-Can-Kleid, das von Tänzerinnen getragen wird. Die Schwestern sind geschmückt mit gestuften Perlenhalsketten aus Samen und Pale [Kopfschmuck], der auf ihrem hochgesteckten Haar thront. Fai Atanoa (Mitte) erhielt viel Aufmerksamkeit von den Zuschauern. Trotz ihres niedrigeren gesellschaftlichen Ranges wurde sie von den beiden Brüdern zur Taupou [Tochter des Königs] ernannt und führte die 'ava-Zeremonie [einen der wichtigsten sāmoanischen Bräuche] durch. Dies führte zu Spannungen, da der Gruppe Frauen angehörten, die nach dem sāmoanischen Protokoll besser für diese Rolle geeignet waren. Der Vorfall ist ein bezeichnendes Beispiel für die Gewalt, die kolonisierten Gemeinschaften von Außenstehenden angetan wird, die neue gesellschaftliche Narrative konstruieren, um ihre kommerziellen Ziele zu erreichen.
Im Jahr 1901 wurden die Völkerschauen verboten, weil man befürchtete, die Gruppe könne auf ihren Tourneen außerhalb Deutschlands antideutschen Ressentiments ausgesetzt sein. Die deutschen Behörden äußerten außerdem Bedenken, die Shows könnten die Grenzen zwischen Kolonialherren und Kolonisierten verwischen und die Darsteller dazu ermutigen, dieselben Privilegien wie ihre Unterdrücker zu fordern. Um die Tour des sāmoanischen Ensembles fortsetzen zu können, argumentierten die Marquardt-Brüder, die Shows würden die Macht und Einfluss Deutschlands auf der ganzen Welt vermitteln. Dies war ein Versuch, den Nationalstolz unter den deutschen Landsleuten zu stärken, die sich für Deutschlands Streben nach Territorien im Pazifik einsetzten. Um zusätzliche Unterstützung zu erhalten, wandten sich die Brüder an Wilhelm Solf, den damaligen deutschen Gouverneur von Sāmoa. Solf, der bemüht war, den zivilen Unruhen in Sāmoa Einhalt zu gebieten, erkannte in einer weiteren Reihe von Naturschauen eine Gelegenheit, einen der Anwärter auf den Titel des Königs, Tamasese Lealofi, vorübergehend von Sāmoa fern zu halten. In seinem Brief an den deutschen Herrscher, Kaiser Wilhelm II., behauptete Solf, die Sāmoaner seien schließlich Landsleute und hätten daher das Recht, ihre Heimat zu besuchen, was zu einer vorübergehenden Aufhebung des Verbots bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs führte.
Die Ausstellung indigener Völker, die häufig von finanziellen Motiven geleitet und in Zoos zu sehen war, war kein neues Phänomen. So reiste beispielsweise Carl Hagenbeck bereits 1877 mit verschiedenen Gruppen durch Europa und prägte den Begriff “Völkerschauen“. Im Gegensatz zu Hagenbeck und anderen Zeitgenossen behaupteten die Gebrüder Marquardt jedoch, ihr Interesse bestehe darin, die Sāmoaner als freundliches Volk darzustellen. Dies ist zwar höchst fragwürdig, vor allem angesichts der kulturellen und finanziellen Ausbeutung; allerdings ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Gruppen aus Sāmoa auf verschiedene Weise ihr Recht auf Selbstbestimmung geltend machten. So wählten sie zum Beispiel in späteren Jahren selbst die Darsteller aus und stellten ihre Lebensbedingungen in Frage, während sie sich für eine angemessenere finanzielle Entschädigung einsetzten.
Übersetzung: Uli Nickel
Objektdaten
Literaturhinweise
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Hilke Thode-Arora: From Sāmoa with love? Völkerschauen im deutschen Kaiserreich: eine Spurensuche. 2014.
Christopher Balme: New Compatriots: Sāmoans on Display in Wilhelminian Germany. In: The Journal of Pacific History. 2007, S. S. 331-344.